Ein weiteres Verfahren der EU-Kommission gegen Polen ist eröffnet worden. Auslöser sind diesmal die Pläne für stärkere Eingriffe in den Urwald von Bialowieza, die der Ausbreitung des Borkenkäfers entgegenwirken sollen. Die polnische Regierung hat nun einen Monat Zeit, um darauf zu reagieren.
Der Bialowieza-Urwald an der polnisch-weißrussischen Grenze ist einer der letzten und größten Überreste des Urwalds, der sich einst über die europäische Tiefebene erstreckte, und beheimatet u.a. 800 Wisente. Im Ergebnis der seit März laufenden Gespräche sind die Experten der Kommission zu der Ansicht gekommen, dass die von Umweltminister Jan Szyszko vorgesehenen Maßnahmen einen Verstoß gegen die EU-Habitat- und Vogelschutzrichtlinien, sowie eine Gefahr für das Natura 2000-Schutzgebiet darstellten.
Heftiger Protest wird auch von Umweltverbänden erhoben. Während bisher von 2012 bis 2023 nur ca. 63.000 Kubikmeter Holz gefällt werden sollten, ist nunmehr eine Menge von 188.000 Kubikmeter anvisiert. Szyszko verweist dagegen auf die Widersprüche in der Frage der Schutzbestimmungen zwischen dem Programm Natura 2000 und dem Programm der UNESCO, die dem Urwald den Status eines Welterbes verliehen hat. So soll der Nationalpark, der ein Drittel des Waldes umfasst, von den Abholzungen verschont bleiben.
Wenig Zeit für Reaktion
Da die Angelegenheit wegen der bereits begonnenen Eingriffe als dringlich beurteilt wird, hat die polnische Regierung nun statt der üblichen zwei Monate nur vier Wochen Zeit, auf das Brüsseler Schreiben zu reagieren und ihre Schritte zu begründen. Falls die Europäische Kommission durch die Antwort nicht zufriedengestellt wird, kann sie Warschau selbst konkrete Empfehlungen für eine Modifikation des Gesetzesvorhabens unterbreiten und letztendlich den EU-Gerichtshof anrufen. Dieser könnte auch umgehend finanzielle Sanktionen verhängen. Es ist damit zu rechnen, dass eine mögliche zweite Verfahrensstufe Anfang Juli – zwischen dem britischen Referendum über einen Austritt aus der EU und dem NATO-Gipfel in Warschau – auf der Tagesordnung stehen würde.
Die polnische Staatsanwaltschaft hat inzwischen bekanntgegeben, gegen die frühere Leitung des Umweltministeriums eine Untersuchung einleiten zu wollen, da sie durch Vernachlässigung bzw. Überschreitung ihrer Kompetenzen für beträchtliche Schäden im Wald von Bialowieza verantwortlich wäre. Dies könnte darauf hindeuten, dass die PiS-Regierung ihre Vorgängerin, die Koalition aus PO und PSL, in Haftung nehmen will, wenn sich der Druck aus Brüssel erhöhen sollte. Dort ist bekanntermaßen bereits seit Januar ein Verfahren in puncto Verfassungsgericht anhängig, das die Kommission am 1. Juni zum Anlass genommen hat, den Zustand der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Polen zu bemängeln.
Bild: Bialowieza // (cc) Lars Leschewitz [CC BY-SA 3.0] / polen-heute.de