Heute am frühen Morgen ist die „Dame des polnischen Theaters“ in Warschau verstorben. Nina Andrycz wurde 101 Jahre alt und baute in der letzten Zeit gesundheitlich stark ab. Andrycz war für ihre Rollen als Königin und Aristokratin besonders bekannt und beliebt.
Nina Andrycz kam am 11. November 1912 in Brest (heute Weißrussland) zur Welt. Sie studierte zuerst Jura an der Universität Vilnius und Geschichte an der Universität Warschau, doch beide Studiengänge brach sie ab. Dann fing sie an, im staatlichen Institut der Schauspielkunst in Warschau zu studieren. Das Diplom erwarb sie 1934; am 16. November des selben Jahres debütierte sie auf der Theaterbühne. Von 1935 bis 2004 arbeitete sie an einem Theater in Warschau – bis auf die Kriegsjahre 1939 – 1945, als sie als Kellnerin ihr Geld verdiente.
Beim polnischen Publikum erarbeitete sie sich die Spitznamen „die Königin“ und „erste Dame des polnischen Theaters“. Sie war besonders für ihre Rollen als Königin und Aristokratin bekannt. Ihre berühmtesten Figuren waren die Maria Stuart in dem gleichnamigen Drama von Juliusz Slowacki, Elisabeth in „Don Carlos“ von Friedrich Schiller, Margaret in „Richard III“ von Shakespeare oder die Multimillionärin Claire Zachanassian in der Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt.
Ehefrau des sozialistischen Premiers
Nina Andrycz war in den Jahren 1947 bis 1968 mit dem polnischen Premierminister Jozef Cyrankiewicz verheiratet. Das nahmen viele Anhänger der „ersten Dame des Schauspiels“ übel, vor allem wegen der Gerüchte über das luxuriöse Leben des Ehepaares in der Zeit, als „allen alles fehlte“. Dies dementierte Andrycz und verteidigte ihren Ehemann, er sei privat ein bescheidener Mensch gewesen.
Dank der Ehe konnte Andrycz viel reisen; sie soll auch kostbare Geschenke von Josef Stalin und Mao Tse-Tung bekommen haben. Nina Andrycz liebte jedoch die Bühne – sie verzichtete oft auf die Begleitung ihres Mannes auf Dienstreisen, um auf der Theaterbühne auftreten zu können. Sie gab selber zu, sie liebe ihre Arbeit mehr als ihren Mann; aus diesem Grund sei sie auch nie Mutter geworden. Andrycz sagte, sie habe bereits sehr viele Gestalten „geboren“ und dies reiche ihr vollkommen. Anhänger und Theaterexperten vermuten, dass der mangelnde Kinderwunsch der Hauptgrund für das Scheitern ihrer Ehe mit Cyrankiewicz war.
Die Schauspielerin schrieb zwei Poesiebände sowie einen Roman. Über ihr Leben wurde 1996 ein Dokumentarfilm gedreht. Bis zuletzt wurde sie auf der Straße erkannt und um Autogramme und Fotos gebeten.