Ein 55-Jähriger verübte am Freitag einen Anschlag auf Ex-Premier Miller. Der Angreifer wurde gefasst und Miller ist unverletzt. Doch es hätte schlimmer kommen können.
Im Rahmen eines Klassik-Konzertes in Schieratz (60 km südwestlich von Lodz) wurde der frühere Premierminister und jetzige Vorsitzende des Bundes der Demokratischen Linken (SLD) Leszek Miller von einem 55-jährigen Mann angegriffen. Nach dem Konzert soll der Angreifer von hinten an Miller herangetreten sein und ihm einen Plastikbeutel mit einer Substanz an den Kopf geworfen haben. Beim Aufprall riss der Beutel und eine übel riechende Flüssigkeit ergoss sich über den SLD-Chef.
Dieser Fall ist in Polen nicht einzigartig: Marek Rosiak, ein Mitarbeiter des EU-Parlamentariers Janusz Wojciechowski (Recht und Gerechtigkeit, PiS), wurde im Oktober 2010 von Ryszard Cyba im Büro des Abgeordneten ermordet. Der Fall rief ein breites Echo in den Medien hervor. Und erste Ende Juli 2013 wurde die Festnahme von Brunon K. öffentlich. Ihm wird vorgeworfen, einen terroristischen Anschlag auf das polnische Parlament geplant zu haben.
SLD fordert Personenschutz
Mitglieder des Bundes der Demokratischen Linken haben bereits die Polizei verständigt und Anzeige erstattet. Auch sind Stimmen laut geworden, die nun Personenschutz für Miller fordern. Premierminister Donald Tusk (Bürgerplattform, PO) zeigte sich gestern auf einer Pressekonferenz bestürzt über den Anschlagt. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Leszek Miller Personenschutz bekomme, sofern ein solcher Antrag beim Innenminister gestellt werde.
Führende SLD-Politiker bestätigten bereits, dass ein solcher Antrag schnellstmöglich eingereicht werde. Auch fordern sie die Regierung auf, Spitzenpolitiker besser zu schützen.
Angreifer gefasst
Gestern meldeten die Medien, der Angreifer sei in seiner Wohnung festgenommen worden. Der 55-Jährige sei schon früher durch ungewöhnliches Verhalten aufgefallen. Während der Verhaftung versuchte er zu fliehen. Heute teilte die Polizei mit, der Mann sei in Gewahrsam; die Staatsanwaltschaft setze sich morgen mit dem Fall auseinander. Ihm drohen bis zu drei Jahre Haft.
Leszek Miller scheint es indes den Umständen entsprechend gut zu gehen. Die Flüssigkeit soll Medienberichten zufolge nicht gesundheitsschädlich gewesen sein. So meldete Miller gestern über Twitter, es gehe ihm gut, nur seine Kleidung habe unter der Attacke gelitten. Doch es hätte auch anders ausgehen können, wie im Fall Marek Rosiak.
Armut – und kein Ausweg in Sicht
Muss Polen jetzt eine Welle der Gewalt gegen Politiker fürchten? Ganz sicher nicht. Jedoch zeigt der Angriff auf Miller, wie angespannt die Lage ist – von einem gesellschaftlichen Konsens kann nicht die Rede sein. Auf der einen Seite stehen die Oberschicht und die dünne Mittelschicht, denen es verhältnismäßig gut geht. Und auf der anderen Seite sind viele Millionen Menschen, die am Existenzminimum leben müssen. Denn Polen hat keine funktionierende soziale Sicherung nach westlichem Vorbild und nur eine geringe gesellschaftliche Umverteilung.
Ein gesellschaftlicher Aufstieg ist kaum möglich, so schotten sich gesellschaftliche Gruppen voneinander ab. Eine gute Arbeit bekommt man oft nur, wenn man im richtigen Milieu zu Hause ist. Deswegen greift Perspektivlosigkeit um sich – Menschen haben nichts mehr zu verlieren. Gesellschaftliche Agonie fördert krankes Verhalten.
Bild: Leszek Miller (2013) // (cc) Lukas Plewnia / Polen Heute [CC BY-SA 2.0] / Flickr