Der Streit zwischen der EU-Kommission und der PiS-Regierung um die Rechtsstaatlichkeit in Polen geht in die nächste Runde. Denn die EU-Kommission hat eine „Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit“ an Warschau gerichtet und erwartet, dass diese innerhalb von drei Monaten umsetzt wird. Sonst droht sie mit der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 EUV – der Suspendierung der EU-Mitgliedschaft.
In ihrer „Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit“ fällt die EU-Kommission ein vernichtendes Urteil über die Innenpolitik der PiS-Regierung seit ihrer Wahl vom 25. Oktober 2015. Zwar geht der Verfassungsstreit auf ein Gesetz der PO-PSL-Koalition zurück, das vom polnischen Verfassungsgericht ebenfalls als verfassungswidrig eingestuft wurde. Doch trieben die PiS-Regierung und der polnische Präsident Andrzej Duda den Verfassungsstreit auf die Spitze, indem sie ihre Mehrheit im polnischen Parlament (Sejm) nutzten, um Gesetze zu beschließen, die eindeutig gegen die polnische Verfassung verstießen.
In diesen Verfassungsstreit zwischen dem Verfassungsgericht und der Regierung griff bereits Ende 2015 die EU-Kommission ein, um ihn möglichst schnell zu lösen. Der seit dem 13. Januar 2016 andauernde „Dialog“, als Folge der Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen, zwischen der EU-Kommission und der Regierung in Warschau hat noch nicht alle Bedenken aus Brüssel ausräumen können. Die EU-Kommission bemängelt:
- die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts sowie die Verkürzung des Mandats des derzeitigen Präsidenten und Vizepräsidenten des Gerichts. Außerdem soll die polnische Regierung die Urteile des polnischen Verfassungsgerichts vom Anfang Dezember 2015 respektieren.
- Darüber hinaus stellte die EU-Kommission fest, dass der Sejm am 22. Dezember 2015 eine Änderung des Gesetzes über das Verfassungsgericht verabschiedet hatte, das sich negativ auf die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts sowie die Unabhängigkeit seiner Richter auswirkt.
Zu diesen Punkten verhandeln seit Anfang Januar 2016 die EU-Kommission und die polnische Regierung. Als Reaktion auf die Kritik hat das polnische Parlament am 22. Juli 2016 ein Gesetz zum Verfassungsgericht verabschiedet, um die Bedenken der EU-Kommission auszuräumen. Doch geht dieses Gesetz der EU-Kommission nicht weit genug. In Ihrer Empfehlung vom 27.07.2016 fordert sie daher:
- dass die Urteile des polnischen Verfassungsgerichts vom Anfang Dezember 2015, sowie die Folgeurteile vollständig umgesetzt und veröffentlicht werden;
- außerdem muss die polnische Regierung dafür sorgen, dass künftige Urteile systematisch veröffentlicht werden und weder die Exekutive, noch die Legislative über ihre Veröffentlichung entscheiden kann;
- die polnische Regierung muss sicherstellen, dass jede Reform des Verfassungsgerichtsgesetzes im Einklang mit den Urteilen des polnischen Verfassungsgerichts steht, der Stellungnahme der Venedig-Kommission des Europarates (Europäische Kommission für Demokratie durch Recht) umfassend Rechnung trägt und dass das Verfassungsgericht in seiner Funktion als Garant der Verfassung weder durch einzelne noch durch das Zusammenwirken mehrerer Bestimmungen geschwächt wird;
- darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass das Verfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des am 22. Juli 2016 verabschiedeten Gesetzes über das Verfassungsgericht prüfen kann, bevor es in Kraft tritt. Das diesbezügliche Urteil des Verfassungsgerichts muss veröffentlicht und vollständig umgesetzt werden;
- schließlich hat die polnische Regierung Maßnahmen und öffentliche Erklärungen zu unterlassen, die die Legitimität und Handlungsfähigkeit des Verfassungsgerichts beeinträchtigen können.
Sollte die polnische Regierung den Empfehlungen gänzlich folgen, würde dies ihre Innenpolitik des Staatsumbaus deutlich schwächen. Entsprechend scharf reagierte auch der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, indem er sich belustigt über die Empfehlung zeigte und der EU-Kommission vorwarf, sie würde sich außerhalb der Verträge bewegen. Sollte sich jedoch in den kommenden drei Monaten die Verfassungskrise nicht lösen, droht Polen ein Verfahren nach Artikel 7 des EUV – der Suspendierung der EU-Mitgliedschaft. Dabei steht für Warschau nicht die Gefahr im Vordergrund, das Stimmrecht im Ministerrat zu verlieren, sondern die permanente negative Berichterstattung während des Verfahrens.
Mehr Hintergründe erfahren Sie in Kürze im ausführlichen Bericht zur polnischen Verfassungskrise.
Bild: Polnische Flagge // (cc) Lukas Plewnia [CC BY-SA 2.0] / polen-heute.de