Noch immer fällt der lange Schatten der CIA-Geheimgefängnisse auf Polen. Obwohl Barack Obama alle Gefängnisse bis 2009 schließen und mit der Politik seines Vorgängers George W. Bush brechen wollte, holt der aus der öffentlichen Debatte verschwundene Skandal über sogenannte black sites die US-amerikanische und polnische Regierung immer wieder ein. Mit der Verurteilung Polens in den Fällen AL NASHIRI v. POLAND und HUSAYN (ABU ZUBAYDAH) v. POLAND durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde zum ersten Mal ein EU-Mitgliedsstaat für seine Kooperation mit der CIA verurteilt. Mit weiteren Fällen ist in Zukunft zu rechnen.
Durch die Verurteilung Polens für seine Kooperation mit der CIA schuf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen Präzedenzfall. Das internationale Gericht verurteilte am 24. Juli 2014 zum ersten Mal einen EU-Mitgliedsstaat für die Zusammenarbeit mit der USA im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“. Der östliche Nachbar Deutschlands wurde somit für die Beteiligung an der Inhaftierung und Folterung von Abd al-Rahim al-Nashiri und Sain al-Abidin Muhammad Hussein (Abu Subaida) zur Rechenschaft gezogen. Beide Gefangenen befinden sich heute im Lager in Guantanamo Bay. Al-Nashiri wird vorgeworfen, im Jahre 2000 am Anschlag auf das US-Kriegsschiff „USS Cole“ beteiligt gewesen zu sein. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe oder sogar der Tod. Hussein werden terroristische Aktivitäten vorgeworfen. Beide Gefangene gaben an, sie seien in Polen mit „verschärften Verhörtechniken“ wie Scheinerschießungen verhört worden.
Der EGMR stellte fest, dass Polen gegen mehrere Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat. Dazu zählen das Verbot von Folter und von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Recht auf wirksame Beschwerde sowie das Recht auf ein faires Verfahren. Polen wurde dazu verurteilt, an beide Kläger jeweils 100.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen, sowie mit 30.000 Euro für die Prozesskosten von Hussein aufzukommen. Obwohl in Polen seit 2008 intern ermittelt wird, hat der EGMR Polen vorgeworfen, sich nicht aktiv an der Aufklär
ung zu beteiligen. Der damalige Präsident Polens Alexander Kwasniewski und der damalige Regierungschef Leszek Miller bestritten stets, von einem möglichen CIA-Gefängnis auf polnischem Territorium gewusst zu haben. Beide bestätigten jedoch die Zusammenarbeit der polnischen und US-amerikanischen Geheimdienste sowie die Nutzung des Stützpunktes in Szymany (Masuren) durch US-Geheimdienste.
In den Fokus der polnischen Öffentlichkeit und Regierung rückten die CIA-Geheimgefängnisse Ende 2005. Mit einem Artikel der Washington Post sowie der Aussage von Tom Malinowski, dass sich eines der Gefängnisse in Polen befände, wurde das wahre Ausmaß des polnischen Engagements in Georg W. Bushs Anti-Terror-Krieg deutlich. Beide Berichte wurden vom Europarat zum Anlass genommen, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Im Laufe der Ermittlungen wurde anhand von Flugdaten ermittelt, dass es zwischen 2003 und 2005 Flüge von Kabul nach Szymany gab und dass sich in der Nähe des Flughafens Einrichtungen des polnischen Geheimdienstes befinden. Als Kwasniewski 2006 auf diese Berichte angesprochen wurde, sagte er, es habe in Polen keine geheimen CIA-Gefängnisse gegeben, sondern nur logistische Hilfe und eine Zusammenarbeit der Geheimdienste, die bis heute bestehe. Seit 2008 ermitteln jedoch auch die polnischen Behörden im diesen Fällen. Damit erwies sich das Engagement im Georgs W. Bushs „Koalition der Willigen“ als durchaus folgenreich für Polen. Denn die erhoffte Aufwertung der polnisch-amerikanischen Beziehungen ist weder unter Georg W. Bush, noch unter Barack Obama eingetreten.
Polen ist nicht das einzige Land, das sich aufgrund seiner Beteiligung am Anti-Terrorkampf vor dem EGMR rechtfertigen muss. Bereits Ende 2012 wurde Mazedonien wegen der Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten zur Zahlung von 60.000 Euro verurteilt. Weitere Verfahren gegen Litauen und Rumänien laufen gerade.
Am 11. September fing alles an
Die Affäre um die CIA-Gefängnisse geht auf die Anschläge vom 11. September 2011 zurück. Infolge des Krieges in Afghanistan sind zahlreiche mutmaßliche Taliban sowie al-Qaida-Mitglieder und -Unterstützer von den US-Truppen gefangen genommen worden. Die US-Regierung sah sich veranlasst, schnell an Informationen von diesen Gefangenen zu gelangen. Es ergaben sich jedoch Probleme der „effektiven Informationsgewinnung“. Da die USA die Menschenrechtskonvention sowie die Genfer Konvention unterzeichnet hatten, waren ihre Mittel zunächst rechtlich stark begrenzt. Um diese Einschränkung zu umgehen, hat die US-Regierung zahlreiche Gesetze verabschiedet und Maßnahmen ergriffen.
Dazu wurden zunächst die Gefangenen rechtlich nicht als Kriegsgefangene, sondern als ungesetzliche Kombattanten (unlawful combatants) definiert. Hiermit konnte die Genfer Konvention umgangen werden. Darüber hinaus konnten die Gefangenen vor Militärtribunale gestellt werden. Die zweite weitreichende Maßnahme war die Inhaftierung der Gefangenen außerhalb der USA und somit außerhalb des US-Rechtsraumes.
Aufgrund dessen konnten die ausländischen Gefangenen ohne Anklage und Prozess unbefristet inhaftiert und gefoltert werden. Diese Aushebung der grundsätzlichen Menschenrechte wurde innerhalb und außerhalb der USA kontrovers diskutiert. In den Jahren 2004 und 2006 widersprach der Supreme Court in einigen Urteilen dieser Rechtsauslegung (Rasil vs. Bush; Hamid vs. Rumsfeld; Hamand vs. Rumsfeld) durch die US-Regierung. Doch am 17. Oktober 2006 trat der Military Commissions Act in Kraft, der seitdem die bisherige Praxis der US-Regierung neu legitimiert.
Außerhalb des Rechts
Die Gefangenen wurden in geheime CIA-Gefängnisse (black sites) außerhalb der USA verschleppt. Diese Einrichtungen entstanden kurz nach den 11. September als Internierungslager. Das erste und bekannteste Lager, auf Guantanamo Bay, wurde im Januar 2002 in Betrieb genommen und existiert bis heute. Darin lebten zeitweise 779 Gefangene, die die US-Regierung ohne Anklage und rechtlichen Beistand festhielt. Neben Guantanamo Bay existierten geheime Gefängnisse in: Afghanistan, Großbritannien (Diego Garcia), Kosovo, Pakistan, Polen (Szczytno-Szymany), Irak (Abu Ghuraib/Abu Ghraib; Camp Bucca), Litauen (bei Vilnius) und Rumänien (Bukarest).
Unbekannt ist bisher, wie und wie lange diese Gefängnisse genutzt wurden und ob es weitere gab. Ländern wie zum Beispiel Deutschland und Großbritannien wird vorgeworfen, an der Inhaftierung bestimmter Guantanamo-Häftlinge beteiligt gewesen zu sein. Die Berichte über diese Gefängnisse stammen von Augenzeugen sowie von freigelassenen Häftlingen. Die Regierungen der betroffenen Länder widersprachen in der Regel diesen Berichten oder zeigten sich ahnungslos. Auch die US-Regierung äußerte sich nicht dazu. Erst im September 2006 hat George W. Bush zugegeben, dass die CIA geheime Gefängnisse im Ausland unterhielt und dass sich diese auch in Europa befanden. Gleichzeitig kündigte er an, alle Gefangenen, die sich in diesen Gefängnissen befanden, zentral in das CIA-Gefängnis auf Guantánamo Bay zu bringen. Erst 2009 ordnete der neue US-Präsident Barack Obama die Schließung aller CIA-Geheimgefängnisse an, wobei das Lager auf Guantanamo noch immer existiert. Anfang 2014 lebten dort 149 Gefangene.
Stafford Smith, Leiter des Humen Rights Büros in Großbritannien, berichtet in einem Interview von über 27.000 Gefangenen, die weltweit von den USA festgehalten wurden. Insbesondere aus den Berichten über die Lager in Guantanamo Bay und Abu Ghuraib weiß man, dass die Verschleppten im Auftrag der US-Regierung gefoltert und einige dabei tötet werden.
Von besonderer Brisanz ist, dass es sich bei den verschleppten Gefangenen auch um Bürger aus befreundeten Staaten handelte, wie zum Beispiel um den in Deutschland lebenden Türken Murat Kurnaz oder den deutschen Staatsbürger Khaled al-Masir. Damit wurde das Thema auch für die EU und ihre Mitgliedstaaten, auf deren Territorien sich diese Gefängnisse befanden, akut.
Der Handlanger Europa
Bereits im Jahre 2003 wurden Berichte über Folter in Abu Ghuraib publik. Im darauf folgenden Jahre wurde das Internierungslager Guantanamo Bay bekannt.
2005 hat der UNO-Ermittler Cheriff Bassiouni festgestellt, dass es ein CIA-Gefängnis in Ungarn gab. Damals schon sind Behauptungen aufgetaucht, weitere Gefängnisse würde es in Polen und Rumänien geben, doch die Regierungen in den betroffenen Ländern dementierten diese Berichte. Der Skandal über diese CIA-Geheimgefängnisse ist zunächst durch die Washington Post publik geworden. Die Zeitung nannte zwar nicht die Standorte dieser Gefängnisse, berichtet jedoch, dass diese in Osteuropa liegen würden. Die Zeitung schrieb damals von ca. 100 Gefangenen, von denen 30 hochrangige al-Qaida-Mitglieder sein sollten. Der Direktor von Human Rights, Tom Malinowski, nannte den Flughafen in Szymany (Masuren) als einen der wahrscheinlichen Standorte.
Damit wuchs der Druck auf die europäischen Staaten, sich zur mutmaßlichen Mittäterschaft zu äußern. Die Möglichkeit der Mittäterschaft europäischer Regierungen veranlasste darüber hinaus den Europarat zum Handeln. Der Schweizer Dick Marty wurde mit der Untersuchung betraut. Dabei sollten vor allem mögliche CIA-Flüge über Europa untersucht werden. Anfang 2006 berichtete Marty, dass es zahlreiche Hinweise, jedoch keine Beweise für geheime CIA-Gefängnisse in Europa gäbe. Gleichzeitig warf er vielen europäischen Regierungen vor, die Praktiken der CIA geduldet, oder weggesehen zu haben. Man kann daher davon ausgehen, dass es nicht bei den bisher laufenden Verfahren bleiben wird.