Das schwierige polnisch-russische Verhältnis oder Polens Nachbarschaftspolitik im Schatten Russlands

Ende 2014, beim Treffen  ausländischer Botschafter mit Wladimir Putin in Moskau, sprach sich der russische Präsident für eine Lösung der russisch-polnischen Probleme aus. Die polnische Botschafterin in Moskau, Katarzyna Pełczynskiej-Nalecz, sagte, die Probleme des Westens mit Russland seien keine bilateralen polnisch-russischen Probleme, sondern Problem der EU mit Russland, an deren Lösung Polen aktiv teilnehme und Polen ebenfalls einen Weg des konstruktiven Dialogs suchen werde. Dies könnte der Beginn eines neuen Anlaufs für eine Normalisierung der polnisch-russischen Beziehungen sein. Seit dem Zerfall des Ostblocks befinden sich die polnisch-russischen Beziehungen auf einem dauerhaften Tiefstand, der zwar vom Pragmatismus geprägt ist, doch immer wieder in Scharmützeln mündet. Dabei entwickelten sich die Beziehungen zunächst positiv. Erst mit der Westorientierung Polens und den unterschiedlichen Auffassungen über die Gestaltung der gemeinsamen Nachbarschaft gingen die beiden Nachbarn, die eine lange konfliktbeladene Geschichte verbindet, auf Konfrontationskurs. Unter Medwedew und Tusk begann eine zaghafte Annäherung, doch das russische Engagement in Südossetien und die Flugzeugkatastrophe von Smolensk versetzte den ohnehin schwierigen Beziehungen neue Dämpfer. Beide Seiten schaffen es bisher trotz gutem Willen nicht, die Beziehungen zueinander auf eine neue Stufe zu heben. Die aktuelle politische Entwicklung in der gemeinsamen Nachbarschaft weckt wenig Hoffnung, dass sich dieser Zustand bald ändern könnte.

Nach dem Zerfall des Ostblocks entwickelten sich die polnisch-russischen Beziehungen durchweg positiv. Im Jahre 1993 wurde ein gemeinsames Nachbarschaftsabkommen unterzeichnet und Polen war Fürsprecher der russischen Jamal-Gaspipeline. Diese positiven Entwicklungen endeten mit Polens Bekenntnis zur Westintegration, da sich Polen auch für die Westintegration der ehemaligen Sowjetrepubliken einsetzt. Dieses Engagement war ein krasser Widerspruch zur russischen Außenpolitik. Seitdem kritisiert Polen immer wieder die russische Demokratie und Politik sowie die europäisch-russischen Beziehungen und fordert von Russland eine ernsthafte und kritische Auseinandersetzung mit seiner sowjetischen Vergangenheit. Polen tritt damit als aktiver Demokratieförderer in seiner östlichen Nachbarschaft auf.

Russland sieht seinen westlichen Nachbarn daher vor allem als Unruhestifter, der sein Einfluss in seiner direkten Nachbarschaft und Europa begrenzen möchte. Insbesondere die politischen Initiativen auf der EU-Ebene (Östliche Partnerschaft) sowie das direkte Engagement Polens in den ehemaligen Sowjetrepubliken (Orangene Revolution, Georgien) betrachtet Russland als Einmischung in seine traditionellen Einflusssphären. Russland versucht daher durch enge Beziehungen zu westeuropäischen Schlüsselstaaten, vor allem Deutschland und Frankreich, Polens Ostpolitik insbesondere auf der EU-Ebene auszuhebeln. Die russische Außenpolitik weckt wiederum Ängste vor neuem russischem Hegemonialstreben. Daher werden die polnisch-russischen Beziehungen vom ökonomischen Pragmatismus und vor allem durch die gemeinsame Geschichte bestimmt.

Polens Nachbarschaftspolitik

Polens Engagement in seiner östlichen Nachbarschaft und namentlich der Ukraine wird von zwei Faktoren bestimmt. Der erst Faktor ist die natürliche geographische Lage Polens. Das Land als einer der östlichen Grenzstaaten der EU, grenzt im Nordosten an das Baltikum, sowie an die russische Enklave Kaliningrad. Im Osten an Belarus (Weißrussland) und an die Ukraine.

Polen versucht dabei wie alle Staaten mit seinen Nachbarn konstruktive und freundschaftliche Beziehungen zu pflegen, um auch im Osten von einem „ring of friends“ umgeben zu sein. Damit setzt sich Polen aktiv für eine Demokratisierung und Westanbindung seiner östlichen Nachbarschaft ein.

Russland die dauerhafte Bedrohung im Osten

Russland ist historisch betrachtet durchweg eine Bedrohung und ein Konkurrent für Polen. Am Ende der Ersten Polnischen Republik (1772, 1793 und 1795), die aus einem polnisch-litauischen Unionsstaat bestand, war Russland neben Preußen aktiv beteiligt. Das Ende der Zweiten Polnischen Republik (1918-1939) als souveräner Staat, wurde ebenfalls aktiv durch Russland und das Nazideutschland (Ribbentrop-Molotow-Pakt) betrieben. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Polen als Volksrepublik wiederhergestellt, doch wurden die Sowjetarmee nicht als Befreier, sondern als neue Besatzer wahrgenommen. Den Polen musste sich in den sowjetischen Ostblock fügen.

Als Teil des Ostblocks konnte das Land zwar nicht die Souveränität, doch die Identität wiedergewinnen. Dazu trugen vor allem der katholische Glauben sowie eine weitgehend homogene Bevölkerung bei, indem nach der Westverschiebung Polens die aus Ostpolen vertriebenen Polen in die dazugewonnene ehemals deutschen Ostgebiete umgesiedelt wurden, wobei die deutsche Bevölkerung geflohen ist oder weitgehend vertrieben wurde. Beide Faktoren übten in Form des polnischen Papstes Johannes Paul II und der „Solidarnosc“ Bewegung, eine wichtige Rolle bei der Überwindung des Eisernen Vorhangs und der Demokratisierung Polens aus.

Das Fehlen einer russisch-polnischen Aussöhnung als neuer Beginn

Mit der Dritten Polnischen Republik bekam Polen 1989 seine volle staatliche Souveränität zurück. Damit musste sich das Land in einem Europa zurechtfinden, dass sich seit 1952 durch die Römischen Verträge auf dem besten Weg in die Europäische Union (Vertrag von Maastricht 1992) befand. Mit seinem westlichem Nachbarn Deutschland, mit dem ebenfalls historisch vorbelastete Beziehungen bestanden, begann bereits 1965 mit dem Hirtenbrief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder und dem bedingungslosen Eingeständnis der deutschen Kriegsschuld sowie der Akzeptanz der neuen Ostgrenzen ein Versöhnungsprozess, der in einem freundschaftlichen Verhältnis mündete, wie ihn Deutschland nur zu seinem ehemaligen Erbfeind Frankreich pflegt.

Diesen Aussöhnungsprozess hat es nach dem Fall des Eisernen Vorhanges mit Russland nie gegeben. In den 1990er Jahren war Russland unter Jelzin damit beschäftigt die Scherben der ehemaligen Sowjetunion aufzusammeln und fokussierte sich in seiner Westpolitik auf Deutschland als strategischen Partner. Gleichzeitig weigerte sich Russland, sich kritisch mit seiner blutigen Politik in Polen auseinanderzusetzen, die vor allem durch das Massaker von Katyn sowie dem stalinistischen Terror ihren Ausdruck fand.

Erst 1990 hat Michail Gorbatschow eingestanden, dass das Massaker von Katyn von russischen Soldaten verübt wurde, er entschuldigt sich für das Verbrechen an dem polnischen Volk. 1989 eröffnete die sowjetische Militärstaatsanwaltschaft eine Untersuchung, die die russische Nachfolgebehörde 2004 ohne klare juristische Bewertung abschloss. Damit blieb Katyn ein dauerhaftes Thema in den polnisch-russischen Beziehungen. Es folgten jedoch keine weiteren Gesten der Versöhnung oder gar gemeinsame politische Initiativen. Im Jahre 1993 wurde zwar eine Vereinbarung zwischen der russischen Föderation und Polen über die gemeinsame Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Wissenschaft und Bildung unterzeichnet, doch verschlechterten sich die Beziehungen mit der fortschreitenden polnischen Westintegration zusehends.

Die unreflektierte Selbstwahrnehmung des Kremls

Russland sieht sich in seinem Selbstbild als Befreier Europas von der Nazidiktatur und als Weltmacht. In Osteuropa ist diese Sicht aufgrund des stalinistischen Terrors und der russischen Besatzung differenzierter. Russland wurde immer auch als eine Besatzungsmacht wahrgenommen. Insbesondere in den osteuropäischen Staaten in denen keine russischen Minderheiten existierten (Polen, Ungarn, Tschechoslowakei und dem ehemaligen Jugoslawien) wurde der russische Hegemonialanspruch nie akzeptiert, da sich diese Staaten historisch und kulturell radikal von Russland unterschieden.

Entsprechend orientierten sich diese Staaten nach ihrer Unabhängigkeit an die NATO und die EU, um unter anderem auch vor einer möglichen neuen russischen Aggression sicher zu sein. Russland hat es dabei versäumt, nach dem Zerfall der Sowjetunion diese Länder als gleichberechtigte Partner ernst zu nehmen und stabile Beziehungen mit ihnen aufzubauen. Stattdessen erweckt Russland den Eindruck, es würde die Westintegration als Undankbarkeit und Verrat empfinde. Insbesondere seit dem Machtantritt Wladimir Putins bekommen diese Ängste von einem neuen russischen hegemoniestreben neue Nahrung. Umso stärker versucht Polen daher die ehemaligen Sowjetrepubliken an die westlichen Strukturen zu binden

Putins und Medwedews Außenpolitik wecken alte Ängste

Die russische Außenpolitik bekommt unter Putin und Medwedew neue Akzente, die unter seinen westeuropäischen Nachbarn alte Ängste wecken. Denn Putin versucht Russland geopolitisch als Weltmacht neu zu positionieren. Dazu nutzt er vor allem die russischen Energieressourcen als politisches Machtinstrument. Entsprechend negativ wurde der Bau der Nordseepipeline von Polen und von den ehemaligen Sowjetrepubliken wahrgenommen, da mit dieser Pipeline die Bedeutung der traditionellen Transitstaaten Polen und Ukraine zurückging.

Ein weiteres Projekt, das in Osteuropa auf große Skepsis stößt, ist die Eurasische Union, an der neben den Mitgliedern Russland, Belarus, Armenien, Kirgistan und Kasachstan auch die Ukraine teilnehmen soll. Damit hat Russland eine Alternative zur EU geschaffen. Der innerukrainische Streit um diese Mitgliedschaft ist die zentrale Ursache für die aktuelle Krise in der Ukraine. Die russische Annexion der Krim weckt vor allem in den baltischen Staaten, die über große russische Minderheiten verfügen, Ängste, Russland könnte diese Minderheiten für seine Außenpolitik instrumentalisieren. Entsprechend fordern sie eine stärkere Präsenz der NATO in ihren Ländern. Mit diesen Forderungen wird wiederum Russland provozieren, da es sich von der NATO bedroht fühlt und bezüglich der Ostausdehnung der NATO getäuscht sieht.

Unter der Präsidentschaft Medwedews und Tusk hätte ein Neuanfang der Beziehungen beginnen können, doch es kamen Südossetien und Smolensk

Als Dimitri Medwedew 2008 die Nachfolge als russischer Staatspräsident (2008-2012) von Putin antrat, bestand aufgrund seiner moderaten Tonart die Hoffnung, die russischen Beziehungen zu seinen westlichen Nachbarn könnten sich nahhaltig verbessern. Auf der polnischen Seite ist Ende 2008 mit Donald Tusk ein moderater Politiker als Nachfolger des populistisch auftretenden Jaroslaw Kaczynski zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Damit bestand eine Chance auf die Verbesserung der polnisch-russischen Beziehungen. Denn diese beschränken sich im Wesentlichen auf Handelsbeziehungen, wobei beide Länder immer wieder die Gelegenheit nutzen, gegenseitige Handelsverbote und -beschränkungen zu verhängen.

Diese Aufbruchstimmung bekam durch das russische Eingreifen im Konflikt um Südossetien einen starken Dämpfer. Denn es weckte die alten Ängste in der russischen Nachbarschaft. Polen verurteilte zusammen mit den baltischen Staaten das russische Eingreifen aufs schärfste und der polnische Präsident Lech Kaczynski sprach von einen Akt der russischen Aggression und besuchte die georgische Hauptstadt. In der gemeinsamen Erklärung wurde vor allem die Bedeutung der NATO und der EU als Garanten der Freiheit betont und deren Engagement gegen die imperiale und revisionistische Politik (Russlands) in Osteuropa gefordert.

Die Flugzeugkatastrophe von Smolensk war ein weiterer Dämpfer für die gemeinsame polnisch-russische Nachbarschaftspolitik. Unter den 96 Opfern war der damalige polnischer Staatspräsident Lech Kaczynski und seien Frau Maia Kaczynska sowie zahlreiche polnische Abgeordnete, Offiziere und andere Vertreter der Zivilgesellschaft. Insbesondere bei den Anhängern der rechtsklerikalen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kursieren bis heute Verschwörungstheorien, wonach Russland für den Absturz verantwortlich sei. Offiziell sind sich die russische und polnische Seite soweit einig, dass ein Pilotenfehler, da die Wetterverhältnisse für eine Landung zu schlecht waren, hauptsächlich für das Unglück verantwortlich ist.

Unter der Regierung Putins erscheint eine Verbesserung der Beziehungen äußerst Unwahrscheinlich

Putin steht für ein starkes Russland, dass wieder als Weltmacht wahrgenommen werden will. Innenpolitisch scheint dieser Kurs bei der russischen Bevölkerung gut anzukommen. Außenpolitisch scheint Putin an der Ukraine ein Exempel statuieren zu wollen, um zu demonstrieren, dass Russland bereit ist durch offene oder asymmetrische Kriegsführung einzugreifen, wenn es seine Interessen bedroht sieht. Damit möchte Putin vor allem ein Signal an die EU, USA und NATO senden. Denn in der Regel waren es in den letzten Jahren die USA, die sich dieses Recht nahmen, außerhalb des Völkerrechst militärisch zu agieren. Auch bei Annexion der Krim verweist Russland auf die einseitige Loslösung des Kosovo von Serbien durch die NATO. Putin beansprucht damit für Russland das gleiche Recht, dass sich die USA als globale Hegemonialmacht herausnimmt.

Hier zeigen sich die unüberbrückbaren Sichtweisen der Außenpolitik zwischen Polen und damit der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite, das sich in seiner Außenpolitik an den USA orientiert. Während die EU-Mitgliedstaaten in ihrer Außenpolitik institutionelle und multilaterale Ansätze verfolgen, das heißt auf Kooperation und internationale Institutionen und Vereinbarungen setzen, verfolgen die USA primär einen unilateralen Ansatz. Damit beruft sich die USA in zunächst auf ihre eigene Stärke. Mögliche Koalitionen „der Willigen“ werden primär gebildet, um eine höhere Legitimität zu erreichen. Internationale Organisationen werden nur soweit akzeptiert und involviert, solange sie den eigenen Interessen nützen. Eine ähnliche Politik versucht Russland in seiner Außenpolitik und insbesondere in seiner direkten Nachbarschaft. In von Russland initiierten Organisationen, wie der Eurasischen Union, besitzt Russland immer eine herausgehobene Stellung.

Diese unterschiedliche Sichtweise der Außenpolitik wird auch in der Zukunft zu Konflikten zwischen Russland und der EU führen, außer die EU zieht Russland als Partner bereits in einem frühen Stadium in ihre gemeinsame Außenpolitik mit ein und stellt es nicht vor vollendete Tatsachen, wie bei der europäischen Ukraine-Politik. Hier wird sich zeigen, ob beide Parteien aus der Ukraine-Kriese die richtigen Schlüsse ziehen werden. Denn auch die deutsche Kanzlerin Merkel betont immer wieder, dass es eine europäische Sicherheitsstrategie nicht ohne Russland geben kann. Noch ist es aber nicht absehbar, ob es infolge der aktuellen Ereignisse in der Ukraine zukünftig eine vertrauensvolle und konstruktive gemeinsame Zusammenarbeit überhaupt noch möglich ist.