Letzte Woche Freitag stellte die Oppositionspartei Nowoczesna Strafanzeige gegen Jaroslaw Kaczynski, da dieser die Regierung von der Hinterbank aus steuert. Doch wie ist so etwas in einer parlamentarischen Demokratie möglich?
Das Sommerloch ist deutlich spürbar in Polen. In der Zeit der Sommerferien fahren die meisten Polen ans Meer oder in die Berge, vorwiegend im eigenen Land, um sich zu erholen. Im Fernsehen werden daher Wiederholungen gezeigt und auch die Politik dreht sich etwas langsamer.
Diese Sommerloch scheint nun die rechtsliberale Partei Nowoczesna nutzen zu wollen, um mit einem Aufreger die sich sonnenden Gemüter zu unterhalten. Konkret geht es um eine Strafanzeige, die Parlamentsabgeordnete dieser Partei gegen Jaroslaw Kaczynski, den Vorsitzenden der regierenden rechtsklerikalen Recht und Gerechtigkeit (PiS), am Freitag letzter Woche gestellt haben. Demnach soll Kaczynski der Regierung die Publikation von Urteilen des Verfassungsgerichtes verboten haben. Dieses sei gegen das Gesetz, so ein Abgeordneter der Partei Nowoczesna. Darüber hinaus gebe es aber noch weitere Anzeichen für das Lenken der Regierung, was zum Beispiel die Einflussnahme auf die Besetzung von wichtigen Posten in den Medien betreffe.
PiS-Politiker entgegneten zu den Vorwürfen, sie seien so absurd, dass man kaum einen ernsten Kommentar zu diesem Thema äußern könne.
Der deutsche Leser wird sich jetzt fragen: Wie ist das möglich? Wie kann in einer parlamentarischen Demokratie ein Politiker mehr Macht haben als der Premierminister und der Präsident zusammen? Wenn wir annehmen, dass die Vorwürfe der Oppositionspartei eine Grundlage haben, dann könnten ernsthafte Zweifel an der polnischen Demokratie aufkommen.
Tiefliegende Probleme der Demokratie
Doch das Problem geht viel tiefer und betrifft im Grunde alle parlamentarischen Demokratien, die eine Affinität zum Populismus haben. Und zwar bestimmt im Parlament die Mehrheit, sei sie einfach oder qualifiziert, welche Gesetze beschlossen werden. Das Parlament hat auch großen Einfluss auf die Exekutive, indem es die Regierung absetzen kann. Und der Präsident hat in der Regel, so ist es auch in Polen, eine überwiegend symbolische Rolle.
Daher kann die Person, die die Mehrheit im Parlament kontrolliert, auch die Exekutive kontrollieren. In Deutschland ist die Gefahr nicht so groß, da hier depersonalisierte Parteien ein Eigenleben führen und in der Regel nicht von einer Person von oben gesteuert werden können. In Polen ist das anders, die im Parlament vertretenen Parteien sind mit Ausnahme der relativ unbedeutenden Bauernpartei (PSL) erst seit den 2000er Jahren gegründet worden. Kennzeichnend für sie ist, dass sie eine Führungsfigur haben, die die Geschicke der gesamten Partei lenkt. Und diese Person kann dann mit entsprechender Mehrheit im Parlament von der Hinterbank aus regieren.
Nur noch eines steht Recht und Gerechtigkeit im Weg: das Verfassungsgericht, denn die Partei hat keine Verfassungsmehrheit im Parlament. Aber Jaroslaw Kaczynski arbeitet fleißig daran, dieses Problem zu lösen. Wenn kein mittleres Wunder passiert, hat Polen bald keine richtige Dreiteilung der Gewalt. Über alles wird Kaczynski bestimmen.
Bild: Sejm-Flagge // (cc) Lukas Plewnia / polen-heute.de [CC BY-SA 2.0] / Flickr