Wie jedes Jahr blieb Warschau am 01.08. um 17: 00 Uhr für eine Minute stehen und zeigte so seine Ehrung für den Warschauer Aufstand von 1944. In ganz Polen finden Gedenkminuten und Feiern statt. Allerdings nimmt in dieser Zeit auch die Diskussionsfreudigkeit über den Sinn des Aufstandes zu.
Am 01. August 1944 begann die polnische Untergrundarmee „Armia Krajowa“ (dt. Landesarmee) einen militärischen Aufstand in Warschau gegen die deutschen Besatzer. Er dauerte insgesamt 63 Tage und endete mit einer formellen Kapitulation der Polen. Während dieser Zeit sind 15.000 polnische Soldaten und zwischen 150.000 und 225.000 Zivilisten ums Leben gekommen. Über 600.000 Menschen wurden anschließend aus der Stadt vertrieben. Mit Dynamit wurden als Strafe Paläste, Kirchen, Wohngebäude und Fabrikhallen zerstört. Die hohen Verluste an Menschen und Bausubstanz lassen in Warschau viele Gemüter über den Sinn oder auch die Sinnlosigkeit des Aufstandes diskutieren.
Auf der einen Seite hört man die Stimmen der Aufständischen selber. Einige von ihnen leben noch und erzählen über jene schrecklichen Erlebnisse. Dass der Aufstand sich ereignen musste, steht für sie außer Frage. Nach fünf Jahren brutaler Okkupation wollte man sich rächen und die Stadt endlich befreien, um selber über die Zukunft in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht zu entscheiden. Der Aufstand war somit das Mittel zum Zweck, unumgänglich und zwingend. Viele Geschichtswissenschaftler, Amateur-Historiker und vor allem die Ultrafans des Fußballclubs Legia Warschau verteidigen diese Sichtweise – oftmals bieten sie dem Diskussionspartner nicht mal die Möglichkeit einer argumentativen Vorstellung ihrer Sichtweise.
Der Grund dafür liegt auf der Hand. Die Gegner der bedingungslosen Verehrung des Warschauer Aufstandes von 1944 bezeichnen den Aufstand als „Selbstmord“ oder als „unrealistischen Aufschrei von Romantikern“. Die heftigste Gegenwehr trifft auf diejenigen, die darstellen, dass die Polen mit ihrer irrationalen Politik bis 1939 den 2. Weltkrieg verursacht haben und somit indirekt auch verantwortlich sind am Tod der Zivilisten während des Aufstandes von 1944.
Die polnischen Aufstände
Solche Diskussionen fanden in Polen in den Jahren 1945 – 1989 nicht wirklich statt. Die kommunistische Regierung hat das Bedürfnis der Warschauer und Polen, dieses Ereignis aufzuarbeiten, nicht unterstützt. Das hätte nämlich auch bedeutet, dass man sich die Fragen stellen müsste, warum die russische Armee nicht eingriff, obwohl die Soldaten gefechtsbereit auf der anderen Seite der Weichsel standen. Bei all den Wortgefechten werden jedoch die zivilen Opfer oft vergessen. Sie sind nirgends organisiert und besitzen dementsprechend kein Sprachrohr.
Polen ist geschichtlich betrachtet sicherlich Weltmeister bei der Anzahl der durchgeführten Aufstände. Die größeren Aufstände fanden 1794, 1806, 1830, 1846, 1863, 1918, 1919, 1943 (Aufstand im jüdischen Ghetto in Warschau), 1944 und 1980 – 1989 statt. Es muss sich also die Frage stellen, ob die Aufstände der letzten zwei Jahrhunderte den Grund schufen für das unabhängige Polen nach 1989 oder ob es nicht schon ein freies Polen seit 1918, vielleicht auch vor 1918, gäbe. Natürlich ohne Unterbrechung bis heute. Diese Frage wird so schnell nicht beantwortet werden. Eines muss den Polen jedoch klar werden: Sie leben in einem freien Polen, wo sich die Methoden des Zusammenlebens in einer freien Gesellschaft verändert haben. Nun kann man die Schuld nicht auf andere schieben.