Seit einiger Zeit werden in Polen heftige Debatten darüber geführt, dass polnische Eltern sehr viel Geld für die Bildung ihrer Kinder ausgeben müssen; davon einen deutlichen Teil für die Lehrbücher. Das liegt daran, dass eine große Anzahl von Lehrbüchern angeboten werden und die Schulen sie oft austauschen. Das Bildungsministerium in Polen plant nun die Einführung eines kostenlosen Lehrbuchs für die erste Klasse im nächsten Schuljahr. Gegner fragen aber, ob diese Entscheidung nicht zu rasch getroffen wurde und was eigentlich der Grund für diese überraschend „effiziente“ Politik sei.
In der polnischen Politik ist die Welt auf den Kopf gestellt. Parteien, die sich als national-konservativ definieren, wie zum Beispiel Recht und Gerechtigkeit (PiS), werben bei Wählern mit einem sozialen Programm, was rein ideologisch, ziemlich unüblich für eine solche Partei ist. Paradoxerweise ist es denn inzwischen auch so, dass liberale Parteien, wie die regierende Bürgerplattform (PO), des Öfteren neue soziale Wohltaten einführen. Das aktuelle Beispiel dafür ist das kostenlose Schulbuch für Schüler der ersten Klasse, das schon vor einigen Monaten angekündigt wurde und ab September 2014 in jeder polnischen Schule eingeführt werden soll. Darüber hinaus sollen 2015 und 2016 weitere Bücher für Zweit- und Drittklässler folgen.
Da die Bücher über mehrere Jahre an die jeweilige erste Klasse weiter gegeben und somit mehrmals benutzt werden sollen, kann hier unbestreitbar von einem Vorteil für Eltern und ihre Kinder gesprochen werden. Andererseits könnte man es als schädigende Monopolisierung des Marktes für Lehrbücher verstehen.
Ideologische Ausrichtung des Schulbuches
Das Schulbuch wurde Anfang April online gestellt, so dass sich jeder eine Meinung darüber bilden kann. Seither wurden über die Medien viele Argumente ausgetauscht und auch inhaltsbezogene Fragen geklärt, was die Debatte umso wertvoller macht. Die konservativen Vertreter wollen wissen, welche Familienmodelle in dem Buch bevorzugt werde. Denn ihrer Meinung nach hätten sich die Liberalen zu sehr um Fragen der Gleichstellung „gekümmert“. Dabei wurden die beiden Kritikpunkte im politischen Diskurs aber so gegeneinander gesetzt, als würden sie sich ausschließen. Das zeigt unter anderem, dass die politischen Lager in Polen in der Regel eher immer „gegen“ etwas kämpfen, als „für“ etwas zu streiten. Bildungsministerin Joanna Kluzik-Rostkowska (PO) antwortete beiden Seiten, dass Gleichstellung und „traditionelle“ Familie kein Widerspruch sein müssten.
Die rasche Vorbereitung und Einführung dieses Schulbuches in die polnischen Schulen kann man dagegen auf unterschiedliche Weise auffassen. Anhänger der Regierung meinen, dass Ministerpräsident Donald Tusk (PO) damit sein Wort gehalten habe; somit loben sie ihn für seine Initiative. Andererseits steht in Polen eine Reihe von Wahlen an. Es sei somit ein wahltaktisches und populistisches Manöver, so Tusks Gegner. Grundlegend stellt sich die Frage aber anders: Entlasten die kostenlose Bücher polnischen Eltern tatsächlich und sind sie wertvolles Lehrmaterial?