Hunderttausende auf den Straßen

Während Hunderttausende in Warschau demonstrierten, beantwortet der heimliche Regierungschef Polens, Jaroslaw Kaczynski, Fragen im Internet. Die staatlichen Medien ließen keine Gelegenheit aus, um die Demonstration zu bagatellisieren.

Polnische FlaggeHunderttausende gingen am Samstag durch die Straßen Warschaus, um gegen die Politik der Regierung von Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu demonstrieren. Der Verlauf einer der größten Kundgebungen in Polen seit 1989 war friedlich und ausgelassen. Aufgerufen dazu haben das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) sowie alle oppositionellen Parteien, die im Parlament vertreten sind, außer der ultrakonservativen Oppositionspartei Kukiz’15. Auch die Linke war mit dabei, die jedoch nach den letzten Wahlen den Einzug ins Parlament nicht schaffte. Formal organisiert wurde die Demonstration durch die ehemalige Regierungspartei Bürgerplattform (PO).

Gleichwohl der Marsch durch die Hauptstadt keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Regierungsgewalt hat, ist er doch ein Zeichen für die Regierung, dass sehr viele Menschen bereit sind auf die Straße zu gehen. Dahinter steht die unausgesprochene Drohung, dass den Demonstranten noch mehr Menschen folgen werden, sollte die Regierung den eingeschlagenen autoritären Kurs weiter verfolgen.

Am gleichen Tag fanden in Warschau auch die alljährliche Schuman-Parade sowie der Marsch der Nationalisten statt. Diese Veranstaltungen hatten jedoch keine Auswirkungen auf die um ein Vielfaches größere KOD-Demo.

Kaczynski, die öffentlichen Medien und die Zahl der Demonstranten

Nichts genutzt hat die mediale Ablenkaktion der Regierung. Der PiS-Parteichef und heimliche Regierungschef Jaroslaw Kaczynski stellte sich, während die Demonstration andauerte, Fragen, die ihm über das Internet gestellt wurden. Das erinnerte zudem an die schon traditionelle jährliche TV-Sendung, in der sich Wladimir Putin den Fragen seiner russischen Mitbürger stellt.

Schon erwartbar, aber noch immer bemerkenswert war die Reaktion der „öffentlichen“, eigentlich staatlichen, Medien auf die Kundgebung. Betont wurden „Streitigkeiten“ in Bezug auf die Veranstaltung bei der Organisation und dass sich die Regierung nicht von ihrem Reformkurs abbringen lassen würde. Obwohl die öffentlichen Medien alle Stimmen zu Wort kommen ließen, wurde zumindest unterschwellig immer die Regierung positiv dargestellt. Dieses geschah auch durch die Wortwahl des Reporters, der den Beitrag begleitete und die Wahl der Kommentatoren, die fast alle von rechts-konservativen Medien kommen.

Auch gab es kurz nach der Veranstaltung sehr große Differenzen zwischen Polizei und Rathaus, was die Teilnehmerzahl anging. Die Polizei ging von rund 45.000 Teilnehmern aus und das Rathaus von ca. 240.000 Demonstranten. Diese Differenz klärte jedoch die sozialliberale Gazeta Wybroca am Sonntag auf. Die Polizei habe lediglich einen Teil der Teilnehmer, die sich am Anfang der Veranstaltung auf einem bestimmten Versammlungsort befanden, gezählt. Damit wurden Teilnehmer nicht beachtet, die vor dem Platz warteten oder noch anreisten. Die Polizei soll auch angegeben haben, dass sie nicht vor habe, die wirkliche Teilnehmerzahl zu prüfen, da dieses zu schwierig sei. Die Polizei ist dem Innenminister unterstellt, der zur regierenden Recht und Gerechtigkeit gehört.