Seit einigen Tagen ist erneut ein Streit um Teile des polnischen Rentensystems ausgebrochen. Alles begann Ende März mit dem Vorschlag der Betreiber der zweiten obligatorischen Säule (in etwa vergleichbar mit der deutschen Riester-Rente; in Polen offene Rentenfonds, OFE, genannt), die Rente aus dieser nur für zehn Jahre nach dem Renteneintritt zu zahlen. Der Vorschlag löste große Empörung unter Politikern aller im Parlament vertretenen Parteien aus.
Finanzminister Jacek Rostowski zeigt sich von dem Vorschlag überrascht und sagte, er sei immer davon überzeugt gewesen, dass die Rentenfonds lebenslange Renten zahlen würden. Premierminister Donald Tusk bekundete gestern auf einer Pressekonferenz, bei der auch die Privatisierung der polnischen Fluggesellschaft LOT angekündigt wurde, dass die Lage nun analysiert werden würde und über die Zukunft der OFE nachgedacht werden müsste. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei im polnischen Parlament (Recht und Gerechtigkeit, PiS) Jaroslaw Kaczynski kritisiert schon seit langem das bestehende Rentensystem, es sei unzulänglich und gewährleiste dem durchschnittlichen Versicherten keine ausreichende Rente. Heute bekräftigte der Minister für Arbeit und Soziales Wladyslaw Kosiniak-Kamysz die Linie der Regierung, das Ziel sei die lebenslange Rente.
Rente heute und gestern
Vor 1999 bestand in Polen ein System, dass bei Renteneintritt eine lebenslange Rente garantierte, die sich am vorherigen Einkommen ausrichtete. Es ist vergleichbar mit der staatlichen Rentensicherung in Deutschland.
Mit dem 1. Januar 1999 wurde ein komplett neues System eingeführt, in dem jeder Versicherte individuell Beiträge sammelt. Aus diesen wird nach Renteneintritt eine lebenslange Rente berechnet: die im Berufsleben abgeführten Zahlungen plus Zinsen werden durch die durchschnittliche Lebenserwartung geteilt. Mit diesem Paradigmenwechsel ist neben der staatlichen Säule eine zweite kapitalgedeckte und privatwirtschaftlich organisierte Säule (OFE) dazugekommen. Seitdem wurden 7,3 Prozent der Beiträge an private Unternehmen abgeführt, die diese in Aktien und Anleihen investierten. 12,22 Prozent gingen an die staatliche Rentensicherung.
Insbesondere die OFE sorgen schon seit ihrer Einführung 1999 für hitzige Diskussionen um Kosten und Leistungen. Zum Eklat kam es im Frühjahr 2011, als die Regierung Tusk sich entschloss, die Beiträge an die zweite Säule um mehr als die Hälfte zu begrenzen. Und ein weiterer Streit in der Regierungskoalition um die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 führte beinahe zum Bruch der Regierungskoalition aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL).
Die privatorganisierte Rentensicherung erweist sich als extrem teuer. Aktuelle Voraussagen bereiten zukünftige Rentner auf die massive Absenkung der Rentenzahlungen vor.