Die seit Jahren ergebnislos diskutierte gemeinsame europäische Energiepolitik scheint durch die Krise in der Ukraine wieder in Brüssel auf die Tagesordnung zu rücken. Auf der Brüsseler Konferenz „Paving the Way for European Energy Security Strategy“ sprach sich Donald Tusk für eine gemeinsame europäische Energieunion, wie sie bereits für die europäischen Banken (Bankenunion) geschaffen wurde, aus. Für ihn ist die Energiekrise ein Test für die Qualität der Europäischen Union. Daher sieht er die Schaffung eines gemeinsamen Energiemarktes als sein persönliches Projekt an.
Die Sanktionsspirale zwischen der EU und Russland wirkt sich zunehmend auf die europäische Energiepolitik aus. Die Transitproblematik über die Ukraine sowie die starke Abhängigkeit vom russischen Erdgas werden wieder innerhalb Europas rege diskutiert. Die EU muss etwa 53 Prozent ihres Energiebedarfs importieren. Beim Erdöl sind es fast 88 Prozent, beim Erdgas sind es 66 Prozent und bei der Kohle sind es ca. 42 Prozent. Russland lieferte 2013 etwa 42 Prozent der europäischen Erdgas- und 33 Prozent der europäischen Erdölimporte.
Bisher existiert keine kohärente europäische Energiepolitik. Dies hat mehrere Ursachen. Zunächst hat jeder Staat innerhalb Europas seine eigene Energieinfrastruktur, die sich aus seiner gewachsenen Wirtschaftsstruktur sowie seiner eigenen energetischen Potenzialen ergibt. Daher hat jeder EU-Mitgliedstaat einen unterschiedlichen Bedarf an den jeweiligen Energieträgern. In Deutschland setzet sich im Jahre 2013 der Primärenergiemix aus 33 Prozent Erdöl, 22,5 Prozent Erdgas und 24,4 Prozent Kohle zusammen. Der Rest entfiel auf die regenerativen Energieträger, sowie die Kernkraft. In Polen setzte sich im Jahre 2012 der Primärenergiemix aus 55 Prozent Kole, 26 Prozent Erdöl und 15 Prozent Erdgas zusammen. Der Rest entfiel auf regenerativen Energieträger. Entsprechend unterschiedlich sind daher auch die Importe aus dem EU-Ausland.
Die einzelnen EU-Staaten sind unterschiedlich stark von russischen Energieimporten abhängig
Die einzelnen europäischen Staaten sind unterschiedlich stark von russischen Energieimporten abhängig. Während Deutschland im Jahre 2012/13 ca. 38 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland tätigte, waren es in Polen ca. 60 Prozent. Länder wie Estland, Lettland oder Finnland sind zu 100 Prozent von russischen Erdgasimporten abhängig, während beispielsweise Spanien oder Portugal überhaupt kein Erdgas aus Russland beziehen.
Polen bezieht einen Großteil seiner Primärenergieträger aus Russland. So stammen 65 Prozent der Kohle und 90 Prozent des Erdöls, das Polen importiert aus Russland. Obwohl Polen ein Netto Exporteur von Kole ist, wächst der Anteil der importierter Kohle aus Russland und der Ukraine. Beim Erdgas liegt der Anteil bei 60 Prozent. Damit ist Polen stark von russischen Energieimporten abhängig.
Tusks Ausweg aus der polnischen Abhängigkeit
Polen hat auch nach dem Zerfall der Sowjetunion ein geschichtlich vorbelastetes Verhältnis zu Russland. Infolge der Machtübernahme von Wladimir Putin hat sich das Verhältnis zu Russland weiter verschlechtert. Insgesamt sieht sich Polen trotz der EU- und NATO-Mitgliedschaft von Russland bedroht. Da Polen neben der Ukraine traditionell ein Transitland für russische Energieexporte nach Westeuropa dient, besitzt es ein gewisses Druckpotenzial auf Russland. Entsprechend negativ wurde der Bau der Ostseepipeline durch Polen vernommen, da sich Polens Stellung als Transitland gegenüber Russland verschlechterte. Das Engagement Polens in der Ukrainekriese hat die Beziehungen zu Russland auf ein historisches Tief befördert (Sanktionen gegen polnische Produkte). Diese Krise steigert das Interesse Polens, sowie einiger andere EU-Mitgliedstaaten die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern.
Mit seiner Initiative einer Energieunion möchte Tusk die Position Europas gegenüber seinen externen Lieferanten, und damit Russland stärken. Tusk bezieht sich bei seiner Initiative auf den gemeinsamen europäischen Einkauf von Uran als Energieträger sowie der kürzlich beschlossenen Bankenunion. Tusk betonte, dass er keinen staatlich festgelegten Einheitspreis für alle Mitgliedssaaten möchte. Die Energieunion würde jedoch die Verhandlungsposition der EU-Mitgliedstaaten, die von Russland abhängig sind deutlich stärken. Denn bisher zahlen die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Preise für russisches Erdgas.
Darüber sollen Solidaritästmechanismen geschaffen werden, um bei Gaskrisen, wie in den Jahren 2007/2008 und 2008/2009 besser reagieren zu können. Schließlich fordert Tusk EU-Strukturprograme, um die Abhängigkeit einzelner Länder von Gazprom zu verringern. Die polnische Initiative sieht in ihrer Energiepolitik verstärkt die Nutzung einheimischer Energieträger vor, was für Polen konkret die Nutzung der einheimischen Kohle bedeutet. Diese ist im Vergleich zu importierter Kohle deutlich teurer. Daher lässt sich der Kohleabbau in Polen heute nicht rentabel betreiben. Trotzdem steht für die polnische Regierung fest, dass die Kohle auch in der Zukunft den größten Anteil am polnischen Energiemix haben wird.
Zu den weiteren Strategien der polnischen Energiepolitik zählt die Nutzung der Kernkraft. Bis zum Jahre 2024 möchte Polen sein erstes Kernkraftwerk in Betrieb nehmen. Weiteres großes Potenzial wird dem Fracking prognostiziert. Polen steht der Technologie positiv gegenüber.
Bisher zeichnet sich keine kohärente Energiepolitik innerhalb der EU ab
Merkel sprach sich positiv zum Tusks Vorschlag der europäischen Energieunion aus und möchte die einzelnen Vorschläge prüfen. Frankreich möchte dieses Vorhaben sogar aktiv unterstützen.15 Doch erschein es als unrealistisch, dass sich kurz- und mittelfristig etwas in diesem Bereich entwickelt. Die EU entwickelt und fördert zwar zunehmend gemeinsame Projekte in einzelnen energiepolitischen Feldern, doch ist die Energiepolitik noch immer ausschließlich eine Angelegenheit der Mitgliedsstaaten.16 Darüber hinaus sind die einzelnen EU-Mitgliedstaaten wirtschaftlich unterschiedlich stark mit Russland verbunden und sehen die Energieabhängigkeit von Russland nicht unbedingt als negativ an. Insbesondere das russische Projekt der South Stream zeigt, dass zahlreiche südeuropäische Staaten noch immer Interesse am russischen Erdgas haben. Außerdem ist die EU, was Tusks Vorschläge zu der Reanimation der Kohle sowie der Technologie des Frackings anbelangt mehr als nur gespalten (CO2 Reduktion). In diesen beiden Bereichen wird es in absehbarer Zeit keine gemeinsamen Initiativen geben, da die großen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche nationale Strategien verfolgen.