Vieles gab es schon im Sejm, dem polnischen Parlament: Zum Beispiel besetzte der Abgeordnete Gabriel Janowski 2002 die Rednertribüne im Sejm mehrere Stunden lang, bis er schließlich von Sicherheitskräften früh morgens aus dem Plenarsaal getragen wurde. Im Laufe der Jahre sind einige Abgeordnete in den Verdacht geraten, stark alkoholisiert an den Arbeiten im Sejm teilzunehmen. Einige Krankenschwestern okkupierten 2011 für mehrere Tage die Besuchertribüne im polnischen Parlament, und im Mai 2012 wurde der Sejm für mehrere Stunden von Mitgliedern der Gewerkschaft Solidarnosc abgeriegelt.
Multimediale Offensive des Oppositionsführers
Heute war wieder so ein Tag – wenn auch nicht ganz so extrem. Morgen wird die Abstimmung um das lange angekündigte konstruktive Misstrauensvotum gegen die Regierung von Donald Tusk, Bürgerplattform (PO), durchgeführt. Im Sejm ist heute darüber debattiert worden. An das Rednerpult trat der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski, um das Misstrauensvotum zu begründen. Immerhin hatte PiS die Abstimmung beantragt – nach einer gewonnenen Abstimmung würde der Soziologieprofessor Piotr Glinski eine technokratische Regierung stellen. Glinski wurde im Vorfeld der Abstimmung nicht als Redner im Parlament zugelassen, doch Kaczynski fand dafür eine Lösung: Während seiner Rede holte er kurzerhand sein Tablet hervor und ließ einen kurzen Abschnitt einer Rede Glinskis laufen. Im Sejm brach lautes Gelächter aus – Kaczynski selbst konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Glinski saß währenddessen auf der Besuchertribüne.
Im Nachhinein wurde die multimediale Offensive des PiS-Vorsitzenden von anderen Mitgliedern des Parlaments negativ bewertet. Die Sejm-Marschallin Ewa Kopacz kündigte eine Änderung der Geschäftsordnung an, um in Zukunft solchen Zwischenfällen vorzubeugen. Kaczynski selbst bezeichnete seinen Auftritt als gelungen.
Höchstwahrscheinlich wird das konstruktive Misstrauensvotum morgen keinen Erfolg haben – eine Zustimmung zu diesem kündigte lediglich PiS an. Das reicht aufgrund der Kräfteverhältnisse im Parlament nicht aus. Aber ein medienwirksames Ereignis ist es bisher allemal.
Kaczynski heute mit Tablet im Sejm // Quelle: Youtube