Polizeistaat Polen?

Seit diesem Monat müssen die Benutzer des ÖPNV in Warschau mit teils hohen Strafen rechnen, wenn sie zum Beispiel auf dem Metro-Steig laufen oder im Metro-Zug essen. Dies ist Ausdruck einer in Polen verbreiteten Doppelbödigkeit: nach außen hin soll alles glänzen und nach innen herrscht tiefe Dunkelheit.

Metro-Zug in  Warschau„Recht und Ordnung auf den Straßen müssen sichergestellt werden“, diese Aussage rechnet der Durchschnittspole den Deutschen zu. Wobei hier keine negative Konnotation besteht; vielmehr bestaunen die Polen mit Bewunderung die deutsche Gründlichkeit und Organisationsfähigkeit.

Der durchschnittliche Deutsche hingegen würde wohl kaum annehmen, dass zum Beispiel in Warschau diese Liebe zur Ordnung noch viel mehr Gewicht hat als in Berlin. Denn in der deutschen Hauptstadt raucht man ohne Hindernisse Zigaretten beim Warten auf die U-Bahn und ein Bier schlürft man gemütlich auf dem Weg nach Hause von der Arbeit oder Disco.

In Warschau – die Stadt hat die einzige Metrolinie in Polen – wird man niemanden sehen, der ein Bier in der Metro trinkt oder dort etwas isst. Dafür ist die Meinung über die öffentliche Ordnung in dem stark religiös geprägten Land viel zu streng. „Was werden wohl die anderen denken“, ist ein Gedanke, der den meisten Polen nicht fremd ist.

Ab August sind im ÖPNV Warschaus Alkoholkonsum, Essen, Betteln, Müll weg schmeißen oder das Laufen auf den Bahn- und Metrosteigen verboten. Zwar gab es schon vorher solche Verbote im Regelwerk der Warschauer Verkehrsbetriebe, doch konnten diese in Mangel an Möglichkeiten der Bestrafung nicht durchgesetzt werden. Das hat sich nun geändert – nach einem Beschluss des Warschauer Stadtrates können seit diesem Monat solche Vergehen mit Strafen von bis zu umgerechnet circa 125 Euro geahndet werden. Auch in Deutschland ist das viel Geld, wenn man bedenkt, dass man die Strafe für das Laufen zum Metro-Zug zahlen muss. In Polen, wo die Einkommen um den Faktor vier niedriger sind, kann ein solcher Strafzettel die Existenz gefährden.

Außen hui, innen pfui

Von einem Polizeistaat kann man da noch nicht sprechen. Aber in Bezug auf die öffentliche Ordnung geht es genau in diese Richtung. Das musste ich selbst vor einigen Monaten feststellen, als ich auf dem Metro-Steig lief, um den Zug in letzter Sekunde zu erreichen. Ich wurde von der Polizei angehalten. Die Beamten drohten mir mit einer Geldstrafe, obwohl jetzt bekannt wurde, dass eben damals keine Maßnahmen zur Bestrafung durchsetzbar waren.

Die neuen Möglichkeiten der Bestrafung sind nur ein Ausdruck der polnischen Doppelbödigkeit. Nach außen hin muss alles blitzblank poliert sein, nicht präsentable Verhaltensweisen werden dann jedoch unter Ausschluss der Öffentlichkeit exzessiv ausgelebt. Noch prägnanter konnte der interessierte Bürger das im Rahmen der letzten Abhöraffäre sehen. Politiker, die bei Sonntagsreden und in Fernsehinterviews staatstragenden Töne anstimmen, verwenden in privaten Gesprächen einen Duktus, der nicht besser in der Gosse praktiziert wird. Die Gespräche blieben überwiegend folgenlos – das Essen in der Metro wird es nicht sein.

Bild: Metro-Zug in Warschau // (cc) Lukas Plewnia / Polen Heute [CC BY-SA 2.0] / Flickr