Polnische Parteienlandschaft

Aus deutscher Sicht verwundert, dass polnische Parteien und Politiker sehr flexibel sind. Die politische Landschaft wird zwar als gewohntes rechts-links Schema konstruiert und dargestellt, jedoch bestehen faktisch keine konsistenten, von einander abgrenzbaren Lager, die als links oder rechts bezeichnet werden könnten.

So hat zum Beispiel die Demokratische Linke (SLD), die von einigen auch als postsozialistisch bezeichnet wird, eine radikale Rentenreform initiiert und federführend ausgestaltet: für die kommenden Generationen werden massive Rentenkürzungen erwartet, das gesamte Rentensystem wurde entsolidarisiert und die Beitragszahler werden durch hohe Verwaltungskosten belastet. Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat während ihrer zweijährigen Regierungszeit den Spitzensteuersatz von 40 Prozent auf 32 Prozent gesenkt. Die rechtsliberale Bürgerplattform (PO) hingegen hat die Beitragszahlungen an die, an den Finanzmarkt angebundene zweite Säule des Rentensystems um mehr als 50 Prozent gesenkt. Auch hat die PO während ihrer bisherigen Regierungszeit die angekündigte Politik der Liberalisierung der Wirtschaft und der Kürzungen im staatlichen Verwaltungsapparat nicht durchgeführt. Somit verwundert auch nicht, dass die Pläne für die Einführung einer Flat Tax in der Schublade verschwanden.

Auch polnische Spitzenpolitiker sind nicht dafür bekannt, ihre gesamte politische Karriere in einer Partei zu verbringen: Die sogenannten „Transfers“ gehören zum alltäglichen politischen Geschäft. Beispielsweise war der aktuelle Außenminister Radoslaw Sikorski (PO) in der Regierung von Jaroslaw Kaczynski (PiS) (2005-2007) Verteidigungsminister. Der jetzige Gesundheitsminister Bartosz Arlukowicz hat kurz vor den letzten Parlamentswahlen von der SLD zur PO gewechselt usw. Zurzeit ziehen die zwei jüngsten Parteien Solidarisches Polen und Palikot-Bewegung immer mehr Politiker aus den etablierten Parteien an.

Vor einigen Jahren hat eine große Affäre die polnische Bevölkerung über viele Wochen in Atem gehalten. 2006 ist die bis dahin nur ein Jahr bestehende Regierungskoalition von PiS, der radikalen Bauernpartei Selbstverteidigung und der radikal-klerikalen Liga Polnischer Familien (LPR) aufgrund von Streitigkeiten über die politische Ausrichtung der Regierung auseinandergebrochen. In der Folge begannen führende Politiker von PiS, Parlamentsabgeordnete der Partei Selbstverteidigung dazu zu überreden, die Partei und somit die Parlamentsfraktion zu wechseln: Die Belohnung waren hohe Staatsämter. So wollte sich die Partei erneut eine Mehrheit im Parlament sichern, um die Regierung aufrecht erhalten zu können.

Mit Hilfe des Fernsehsenders TVN konnten Gespräche, die von einigen als „politische Korruption“ bezeichnet wurden, gefilmt werden. Auf den schwarzweißen Aufnahmen ist zu sehen, wie der Minister Adam Lipinski (PiS) und Wojciech Mojzesowicz (PiS) mit Renata Beger (Selbstverteidigung) darüber verhandeln, unter welchen Bedingungen ihr Wechsel zu PiS erfolgen soll. Die Veröffentlichung der Aufnahmen beendete die wenige Tage vorher begonnenen Koalitionsverhandlungen von PiS und LPR mit der Bauernpartei PSL. Der damalige Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski versuchte zu überzeugen, dass die Aufnahmen lediglich gewöhnliche Verhandlungen zeigen, die auch bei normalen Koalitionsverhandlungen geführt werden. Nichtsdestotrotz konnte nach der Affäre eine Neuauflage der Koalition PiS, LPR und Selbstverteidigung noch bis Mitte 2007 regieren.

Nach den darauffolgenden Wahlen formierte sich eine Regierungskoalition aus Bürgerplattform und Polnischer Bauernpartei (PSL), die Ende 2011 wiedergewählt wurde und bis heute eine stabile Regierung bildet.