Seit einigen Monaten schockieren die Nachrichten über die Verbrechen der russischen Armee in der Ukraine und über die Millionen von Flüchtlingen, die vor den Bombardierungen auf polnischem Gebiet fliehen. Die internationale Presse hat über die außergewöhnliche Solidarität der polnischen Bevölkerung bei der Hilfe für ihre Nachbarn jenseits der Ostgrenze sowie über die humanitäre Krise, mit der Polen derzeit konfrontiert ist, geschrieben. Es wird immer zweifelhafter, ob Polen diese Last allein tragen können.
Am Morgen des 24. Februar 2022 drangen russische Truppen in ukrainisches Gebiet ein und zerstörten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Sie verschonten keine Krankenhäuser, Schulen und Wohngebiete. Sie nehmen alles, was sie können, aus den nicht zerstörten Wohnungen mit.
Es ist unvorstellbar, dass sich darunter gewöhnliche Haushaltsgegenstände wie Bratpfannen und Haartrockner sowie einfache Einrichtungsgegenstände wie Dielen, Duschkabinen und Matratzen von Betten befinden. Dies ist die Kriegsbeute für Putins Truppen.
Grausame Angriffe russischer Truppen auf Zivilisten in der Ukraine
Was die Welt jedoch am meisten schockiert hat, sind die Angriffe auf Zivilisten. Auf Putins Befehl hin kommt es zu Massenvergewaltigungen von Frauen und kleinen Kindern. Unbewaffnete Männer, alte Personen und Teenager werden bestialisch gefoltert und durch Kopfschüsse getötet. Bomben fallen auf Bahnhöfe, in denen Hunderte von Zivilisten auf ihre Evakuierung warten. Die internationale Presse schreibt ausdrücklich über den Völkermord, der im Europa des 21. Jahrhunderts stattfindet.
Flucht von Millionen von Ukrainern nach Polen
Millionen von UkrainerInnen, vor allem Frauen mit Kindern, sind in aller Eile in Richtung der polnischen Grenze geflohen. Das Internet wurde überschwemmt von Videos, die mit Handys aufgenommen wurden und Menschen zeigen, die unter dem Beschuss der russischen Truppen mit einem Rucksack und einer Einkaufstasche in der Hand aus ihrem Land fliehen.
Dies war der Anstoß für die polnischen Bürger zu handeln. Zunächst kamen einfache Menschen an die ukrainische Grenze und versorgten sie mit Lebensmitteln und Wasser. Der Transport der UkrainerInnen in Privatautos wurde organisiert. Dann entstanden NGOs, die dazu beitrugen, die Hilfe effizient zu organisieren. Es wurde eine Unterkunft für Tausende und jetzt für Millionen von Kriegsopfern gesucht.
Polen helfen Flüchtlingen aus der Ukraine
In fast jeder Kleinstadt wurde eine Sammlung der am meisten benötigten Gegenstände organisiert, die dann an die Grenze zur Ukraine gebracht wurden.
Menschen, die normalerweise in Büros, auf Baustellen und in Schulen arbeiten, eilten ihren Nachbarn zur Hilfe. Sie boten ihnen einen Schlafplatz in ihrer eigenen Wohnung an; sie suchten nach Informationen, wie sie ihren Aufenthalt legalisieren konnten.
Das Ausmaß dieser Aktionen war beispiellos. Doch die materiellen und finanziellen Mittel der Zivilbevölkerung gingen langsam zur Neige.
Bitten um Unterstützung wurden an Vertreter der polnischen Regierung gerichtet, die offenbar beschlossen, dass sie keinen direkten Beitrag zu diesen Bemühungen zu leisten brauchten.
Die Maßnahmen der polnischen Regierung nach dem Zustrom von Millionen von Flüchtlingen aus der Ukraine
Am 7. März 2022 wurde auf einer Pressekonferenz, an der Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der Minister für Inneres und Verwaltung Mariusz Kaminski, die Ministerin für Familie und Soziales Marlena Maląg und der Staatssekretär im Ministerium für Inneres und Verwaltung Maciej Wąsik teilnahmen, die Verabschiedung eines Sondergesetzes über die Hilfe für ukrainische Bürger im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt auf dem Territorium des Landes bekannt gegeben.
Morawiecki dankte den NGOs, den lokalen Behörden und vor allem den Polen für ihre schnelle Hilfe für ihre Nachbarn jenseits der Ostgrenze. Er wies darauf hin, dass dank dieser direkten Hilfe die Einrichtung von Flüchtlingslagern nicht erforderlich sei.
Das Gesetz ist am 12. März 2022 in Kraft getreten und legt die Regeln für die Legalisierung des Aufenthalts ukrainischer Bürger fest, die in das polnische Hoheitsgebiet eingereist sind. Sie regelt, wie sie finanzielle Unterstützung, medizinische Versorgung oder den Zugang zu Bildung erhalten. Darüber hinaus ist dort die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit geregelt
Premierminister sagt, dass Flüchtlinge keine Vorzugsbehandlung erhalten werden
Der Premierminister betonte auf der Pressekonferenz, dass die ukrainische Bevölkerung in keinem dieser Bereiche eine Vorzugsbehandlung erhalten werde. Sie werden nicht mehr Rechte oder Möglichkeiten haben als polnische Bürger.
Vermutlich richtete sich diese Botschaft an die konservative Wählerschaft der derzeit in Polen regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Hinblick auf die Parlamentswahlen im nächsten Jahr.
40 PLN pro Tag für die Aufnahme eines Flüchtlings aus der Ukraine
Darüber hinaus erhielt jeder, der einen ukrainischen Bürger aufnahm und ihn mit Lebensmitteln versorgte, eine finanzielle Unterstützung von 40 PLN pro Person und Tag.
Das wurde in der polnischen Presse lautstark und leidenschaftlich kommentiert. Einige lobten die Entscheidungen und das schnelle Handeln der polnischen Regierung, während andere sagten, dass die Bürger nun die gesamte Last der Flüchtlingshilfe schultern müssten.
Experten warnen hingegen, dass die Nachbarn auf der anderen Seite der Ostgrenze unvorstellbare Gräueltaten durch die russische Armee erlebt hätten und psychologische Hilfe bräuchten. Jeden Tag durchlebten sie jede Information, die von der Front kommt. Sie würden auf ein Lebenszeichen von ihren Ehemännern, Brüdern und Vätern warten, die zurückgeblieben sind, um zu kämpfen.
All dies könnte sich auf Dauer als zu schwierig für normale Menschen erweisen, die mit guten Intentionen ganze ukrainische Familien aufgenommen haben. Die Hilfe sollte unter der Leitung von Organisationen organisiert werden, die über Erfahrungen in diesem Bereich verfügen. Aus diesem Grund wurden Vertreter der polnischen Regierung wiederholt aufgefordert, konkrete und direkte Maßnahmen zu ergreifen.
264 Tausend Zloty Zuschuss für nationalistische Organisation – Nationalgarde
Weitere Verwirrung und eine Welle der Empörung entstand Anfang April, als das Büro des Premierministers nach zahlreichen Anfragen von Journalisten schließlich auf seiner Website eine Liste der Organisationen veröffentlichte, die Mittel zur Unterstützung von Flüchtlingen aus der Ukraine erhalten hatten.
Die Liste umfasste 130 Organisationen, die Mittel in Höhe von 11’000 PLN bis 500’000 PLN erhielten.
Die Öffentlichkeit wurde jedoch von der Gewährung eines Zuschusses in Höhe von 264’000 PLN an die nationalistische Organisation Straż Narodowa (Nationalgarde) überrascht. Ihre Mitglieder protestieren entschieden gegen die Ansiedlung von Ausländern auf polnischem Gebiet.
Die Organisation wurde im Jahr 2020 während der großen Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Polen gegründet. Sie wird von dem rechtsextremen Aktivisten Robert Bąkiewicz geleitet.
Auf der Website der Nationalgarde ist zu lesen, dass sich die Mitglieder dieser Organisation den Schutz der katholischen Kirche gegen linksextreme Kreise zum Hauptziel gesetzt haben. Sie betrachten die Demonstranten gegen das Abtreibungsverbot als aggressive Kräfte, die offen gegen den katholischen Glauben und die nationalen Werte vorgehen.
Was die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine betrifft, so versichert Robert Bąkiewicz, dass die Organisation Menschen in ihrem eigenen Zentrum untergebracht hätten. Ihre Mitglieder würden weiterhin im ganzen Land helfen und Sach- und Geldsammlungen organisieren. Sie hätten am Grenzübergang bei Medyka eine medizinische Anlaufstelle eingerichtet.
Die Ansichten des rechtsextremen Aktivisten Robert Bąkiewicz
Die Zweifel der Öffentlichkeit betreffen die wahren Absichten des Chefs der Nationalgarde, der seit mehreren Jahren in rechtsgerichteten Medien und im rechtskonservativen Radio Maryja vor einem Massenzustrom von Flüchtlingen nach Polen warnt. Er hat den Bau einer Mauer an der Grenze zu Weißrussland zum Schutz vor Flüchtlingen gefordert. Öffentlich hat er dem ukrainischen Volk wiederholt vorgeworfen, seine Identität auf vergangenen Kriegsverbrechen gegen Polen (das Wolhynien-Massaker von 1943-1945) aufzubauen, und damit die anti-ukrainische Stimmung angeheizt.
Die Vertreter der polnischen Regierung beschlossen jedoch, dass die Nationalgarde ein geeigneter Empfänger der für die Unterstützung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine bereitgestellten Mittel sein würde.
Wie Polen mit der humanitären Krise im Zusammenhang mit dem Zustrom ukrainischer StaatsbürgerInnen umgehen wird, bleibt daher eine große Unbekannte.
Einige Monate nach Ausbruch des Krieges ist die Müdigkeit der polnischen Bürger, die seit den ersten Tagen die Hilfsmaßnahmen geschultert haben, bereits deutlich sichtbar. Dies führt zu Ungeduld, Groll und Zukunftsangst. Zumal derzeit niemand sagen kann, wann der Krieg in der Ukraine zu Ende sein wird.