Polnischer Unabhängigkeitstag: The Day After

Die gestrige Demonstration mit dem Titel „Unabhängigkeitsmarsch“ schlug heute nicht nur in Polen große Wellen. Der russische Botschafter verglich Polen mit Libyen und Teile der Opposition fordern die Absetzung des Innenministers.

Gestern war polnischer Unabhängigkeitstag – und heute begann die Aufarbeitung der teils chaotischen Zustände, die sich auf den Straßen von Warschau abspielten. Die Demonstration mit dem Titel „Unabhängigkeitsmarsch“ mit ca. 20.000 Teilnehmern (Schätzungen der Polizei) geriet außer Kontrolle; das Ergebnis sind sieben verletzte Polizisten, bisher 72 festgenommene Demonstranten und hoher Sachschaden.

Der Imageschade für Polen ist immens; zum Beispiel berichtete SPON von „Heftigen Ausschreitungen in Warschau“, DIE Welt sprach von „Zusammenstößen am Unabhängigkeitstag“ und die Neue Zürcher Zeitung titelte „Rechtsradikale in Polen“.

Beziehungen zu Russland und LGBT

Zudem könnten die Ausschreitungen einen ernsthaften Keil in die schon traditionell angespannten Beziehungen zwischen Polen und Russland treiben. Denn ein Ausschreitungsherd war vor der russischen Botschaft in Warschau; am Gebäude wurde mitunter ein Wachhaus angezündet. Der russische Botschafter in Polen Alexander Aleksiejew verglich den östlichen Nachbarn Deutschlands mit Libyen. Ferner drückte Aleksiejew seine Verwunderung über die genehmigte Route für die Demonstration aus und beschwerte sich über die nicht verstärkten Sicherheitsmaßnahmen vor der Botschaft.

Der Unabhängigkeitsmarsch konnte zudem homophobe Akzente setzen. So wurde der „Regenbogen“ angezündet – das ist eine große Installation aus Blumen in Regenbogenfarben inmitten eines Kreisverkehrs im Zentrum Warschaus, die von den Nationalisten als Zeichen für LGBT interpretiert wird. Nach dem Anzünden durch Faschisten und Hooligans sollen Feuerwehrleute, die das Kunstwerk löschen wollten, mit Steinen beworfen worden sein.

Werden Köpfe in der Regierung rollen?

Warum wurde der Unabhängigkeitsmarsch mit so wenigen Einsatzkräften begleitet? Wie konnte es zur Eskalation kommen? Dafür musste sich heute den ganzen Tag Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz rechtfertigen. Diesmal sei eine andere Strategie eingesetzt worden, so Sienkiewicz. Man habe auf Deeskalation gesetzt und wollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die Demonstranten provoziert zu haben. Diese Strategie habe leider versagt, denn gegen Bandentum helfe nur reine Kraft.

Politiker der rechtsklerikalen Recht und Gerechtigkeit (PiS) fordern nun die Entlassung von Bartlomiej Sienkiewicz aus seinem Ministeramt. Doch Premierminister Donald Tusk (Bürgerplattform, PO) macht PiS-Politiker für die Ausschreitungen verantwortlich, die durch nationalistische Propaganda „diese Art von Emotionen herangezüchtet“ hätten. In Bezug auf Sienkiewicz sagte Tusk, er wolle nicht diejenigen bestrafen, die um die Sicherheit der Bevölkerung bemüht sind.

Korrektur: Im Originalartikel wurde der bunte Regenbogen am Platz des Heilands ein Symbol für LGBT genannt. Tatsächlich ist die Botschaft des Bogens nicht eindeutig, die Künstlerin verwehrt sich gegen einseitige Interpretationen. Die Installation wurde ursprünglich zur polnischen Ratspräsidentschaft geschaffen und stand schon an unterschiedlichen Orten. Doch am Platz des Heilands vor der Kirche des Heiligsten Heilands in Warschau erregt er besonderen Widerwillen von nationalistischer und radikalklerikaler Seite.