Regierungskrise in Polen?!

Die Rente mit 67 ist ein wichtiges Thema in Polen, das steht fest. Auch gibt es deswegen schon seit einigen Monaten Streit in der Regierungskoalition, das steht auch fest. Aber bricht die Koalition auseinander? Und wenn ja, wann?

Das Gezanke in der Koalition aus Bürgerplattform (PO) und Bauernpartei (PSL) hält schon seit den Parlamentswahlen im Oktober 2011 an: Premierminister Donald Tusk (PO) hatte in seiner Regierungserklärung unter anderem weitere Reformen in der Rentenversicherung angekündigt. Öffentliche Konsultationen wurden durchgeführt und neigen sich langsam dem Ende zu. Aber ein Kompromiss in der Regierung konnte bisher nicht erreicht werden. Vielmehr kann der Krach nicht überhört werden.

Beobachter und Kommentatoren, auch die wichtigsten Politiker in Polen nahmen an, dass PO und PSL sich in dieser Sache einigen werden. Die Bürgerplattform wird sich mit der Rentenanhebung durchsetzen, Zugeständnisse werden bei Müttern gemacht, damit die Bauernpartei das Gesicht wahren kann und die eigene Wählerschaft nicht verliert – so das mögliche Szenario. Dazu wurde diese Woche Montag ein Treffen zwischen den Koalitionspartnern abgehalten, bei dem grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten diskutiert wurden. PSL verlangt Zugeständnisse für die Zustimmung zur Rentenreform: Eine frühere Rente für Arbeitslose sollte möglich sein, auch eine höhere Rente für Mütter.

Der große Durchbruch sollte am darauffolgenden Dienstag kommen – in Verhandlungen zwischen Tusk und Vizepremierminister Waldemar Pawlak (PSL). Eine große Pressekonferenz der beiden wurde schon einen Tag vorher angekündigt: auf dieser sollte der Kompromiss vorgestellt werden. Doch es kam alles anders. Pawlak verließ vorzeitig und überstürzt die Sitzung – die Pressekonferenz wurde abgesagt. Regierungssprecher Pawel Gras teilte nach langem Warten lakonisch mit, dass „Premier Pawlak Premier Tusk heute darüber informiert hat, dass er zurzeit nicht bereit sei zur Unterstützung des Regierunsprojektes zur Rentenreform“. Weiter teilte Gras mit, dass am nächsten Tag der Vorstand der Bürgerplattform einberufen werde, der sich mit allen möglichen Szenarien beschäftigen werde, die zur Unterstützung der Rentenreform führen können. Pawlak hingegen berief noch am gleichen Tag eine Sitzung der PSL-Führung an, auf der die neue Situation und das weitere Vorgehen besprochen werden sollten. Eine öffentliche Erklärung gab Pawlak danach ab; einen Kompromiss schloss er nicht aus. Doch bekräftigte Pawlak auch, dass „wir den Kapitalismus nur durch den Zwang von älteren Menschen zur Arbeit nicht aufbauen können“.

Erwartet wurde eine ernste Auseinandersetzung in der Regierung bezüglich der Anhebung des Rentenalters, aber die Lage scheint – bedrohlich. Zwar gab es 2011 schon wegen der letzten Rentenreform Auseinandersetzungen zwischen beiden Regierungsparteien auf Ministerebene, jedoch konnten diese Tusk und Pawlak nicht entzweien – Einigkeit wurde demonstriert. Nun aber stellt sich die Frage: Zerbricht die Koalition? Wenn ja, werden dann Neuwahlen angesetzt?

Nach dem Fiasko am Dienstag ist alles möglich und ein Koalitionsbruch immer wahrscheinlicher. Neuwahlen sind bis Ende Juni jedoch nahezu ausgeschlossen, da bald die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine stattfindet; Polen kann zu dieser Zeit alles andere als Wahlkampf gebrauchen. Ein Regierungsumbildung wäre aber möglich, wenn auch sehr unbequem für PO und PSL: Die Bauernpartei würde den unmittelbaren Einfluss auf die Regierung verlieren und damit auf die Gesetzgebung und die Besetzung von Verwaltungsposten. Viele Positionen würden neu besetzt werden müssen – und das zum Nachteil von PSL. Die Bürgerplattform hingegen müsste einen neuen Koalitionspartner finden – und das wird nicht leicht. Sicherlich bietet sich Janusz Palikot von der Palikot-Bewegung (RP) geradezu an, aber nicht um jeden Preis.

Palikot hat seine politische Karriere in der Bürgerplattform begonnen und ist auch in ihr groß geworden – die Partei verließ er, da seiner Meinung nach die postulierte Politik in der Regierung nicht umgesetzt wurde. Daher kann er als natürlicher Koalitionspartner angesehen werden. Doch verkompliziert sich die Sache, da Palikot nach der Gründung seiner Partei (Palikot-Bewegung) im letzten Jahr einen Linksschwenk vollziehen musste. Er hat vor den Parlamentswahlen 2011 viele marginalisierte Politiker der Linken (SLD) aufgenommen und mit ihnen auch im ersten Anlauf 10% der Wählerstimmen geholt. Damit wurde diese Partei linksliberal und unterscheidet sich demnach programmatisch deutlich von der PO. Deswegen erscheint es auch nicht verwunderlich, dass Palikot harte Forderungen stellt in Bezug auf die Trennung zwischen Staat und Kirche, eingetragene homosexuelle Lebensgemeinschaften etc., die von Tusk nicht akzeptiert werden können, da seine Basis eher konservativ ist.

Hinzu kommen persönliche Animositäten zwischen Palikot und Tusk. Ersterer hat nach Verlassen der PO im letzten Wahlkampf ein Buch veröffentlicht, in dem er über vertrauliche Besprechungen und Eigenheiten wichtiger Politiker Auskunft gibt. Dieses wurde von den betreffenden Personen als eklatanter Vertrauensbruch gewertet. Seit dem scheint eine vertrauliche Unterredung mit Janusz Palikot ausgeschlossen. Doch schon kann am Horizont eine leichte Annäherung an die Partei von Jaroslaw Kaczynski – Recht und Gerechtigkeit, PiS – erkannt werden, was einhergeht mit einem deutlich milderen Ton zwischen PO und PiS. Dieses ist aber noch Zukunftsmusik: Noch immer schreckt Kaczynski vor einem Treffen mit Tusk zurück. Somit bleibt die Zukunft in der polnischen Politik weiter ungewiss – spannende Zeiten stehen uns bevor.