Religiöser Krieg, Armut und offene Sonntage

27. Mai – 09. Juni 2013
Religionskrieg zwischen Rechts und Links ++ Umfragen: Extreme Armut und düstere Aussichten ++ Offene Sonntage bald verboten?

Religionskrieg zwischen Rechts und Links

Die Spaltung Polens in Konservative und Liberale ist das vorherrschende Element in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte – ganze Familien sind durch unterschiedliche Weltanschauungen auseinandergerissen worden. Jetzt gibt es einen Streit zwischen dem Vorsitzenden der Union der Demokratischen Linken (SLD) Leszek Miller und Präsident Bronislaw Komorowski über eine Äußerung von Kardinal Stanislaw Dziwisz.

Dziwisz hatte vergangene Woche bei einer christlichen Messe gesagt, „das göttliche Recht steht über dem Recht, das von den gesetzgebenden Institutionen festgelegt wird“. Miller wiederum kritisierte diese Aussage in einem Fernsehinterview scharf. Aus seiner Sicht seien die Äußerungen „skandalös“ und stellten die Kirche über die Verfassung.

Miller wandte sich deshalb in einem Brief an den Bundespräsidenten mit der Frage, ob das göttliche Recht wirklich über der Verfassung stehe. Der Präsident, ein Liberal-Konservativer, antwortete, dass die Trennung zwischen Kirche und Staat zwar respektiert werden müsse, aber eine „freundliche und keine feindliche Trennung“ sein solle.

Der (ewige) Kampf zwischen rechts und links geht also weiter; Themen sind beispielsweise die Finanzierung der In-vitro-Fertilisation, die Regulierung von eingetragenen Partnerschaften sowie das Abtreibungsrecht. Wie wird der Kampf enden? Ein Indiz für den Trend zur Liberalisierung des Landes ist die Wahl der linksliberalen und antiklerikalen Palikot-Bewegung (RP) in das polnische Parlament.

Aus dem Stand hatte die Partei bei den letzten Parlamentswahlen Ende 2011 10 Prozent der Stimmen erhalten. Doch die wachsende Kluft zwischen Einkommensunterschieden und Armut nimmt zu, und die konservativen klerikalen Kräfte gewinnen immer mehr Macht. So lag die rechtsklerikale Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in jüngsten Umfragen vorn.

Somit ist ein Rechtsruck in Polen derzeit wahrscheinlicher als eine weitere Liberalisierung und gesellschaftliche Öffnung für marginalisierte Minderheiten wie Homosexuelle.

Umfragen: Extreme Armut und düstere Aussichten

Mehrere Umfragen und Analysen zur wirtschaftlichen Lage Polens deuten darauf hin, dass sich prekäre Lebensbedingungen und Armut weiter ausbreiten. Erstens sind in den letzten sechs Monaten etwa 400 000 Arbeitsplätze verloren gegangen; die Arbeitslosigkeit ist von etwa 8,5 % auf etwa 11 % gestiegen.

Nur knapp 15 Millionen Menschen in Polen sind erwerbstätig und etwa zwei Millionen sind offiziell als arbeitslos gemeldet. Während ältere Arbeitnehmer und Hochqualifizierte einen relativ hohen Lebensstandard genießen, sind junge Menschen zwischen 15 und 25 Jahren mit einer Arbeitslosigkeit von fast 30 % stark belastet. Hinzu kommt, dass die Löhne in diesem Jahr im Durchschnitt nur um 2,5 % gestiegen sind – ein Anstieg, der größtenteils von der Inflation aufgefressen wird.

Außerdem könnte die Wirtschaft in diesem Jahr nur um etwa ein Prozent wachsen – einige Experten sprechen sogar von einer drohenden Rezession. 41 % der Polen glauben, dass es dem Land wirtschaftlich schlecht geht. Darüber hinaus lebten im vergangenen Jahr etwa 2,1 Millionen Polen (fast 7 %) in extremer Armut – darunter fast eine dreiviertel Million Kinder. Weitere fünf Millionen sind davon bedroht. Die Zahlen könnten in diesem Jahr noch steigen.

Die Wirtschafts- und Armutsdaten entsprechen den Zustimmungsraten für die polnische Führung: Laut einer aktuellen Umfrage vertrauen nur 33 Prozent der Polen Premierminister Donald Tusk (liberal-konservative Bürgerplattform, PO), fast 50 Prozent trauen ihm nicht. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski von der rechtsklerikalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat die gleichen Zustimmungswerte. Vor einiger Zeit war das Vertrauen in Kaczynski auf einem sehr niedrigen Niveau, aber die stagnierende Wirtschaft scheint ihm in die Hände zu spielen.

Gleichzeitig zeigt eine andere Umfrage, dass weniger Polen die Transformation von 1989 positiv bewerten. Nur knapp 60 % der Polen sind der Meinung, dass es sich „gelohnt hat“, vier Jahre zuvor waren 80 % dieser Ansicht.

Offene Sonntage bald verboten?

Wer am Wochenende nach Polen reist, ist überrascht, dass fast alle Geschäfte sonntags ganztägig geöffnet sind. Die Menschen versammeln sich in den Einkaufszentren der Großstädte und in den Kleinstädten. Man kann an einem Sonntag leicht das kaufen, was man unter der Woche nicht geschafft hat. Nur an Feiertagen wie Ostern müssen die Geschäfte geschlossen bleiben.

Kleine Geschäfte, in denen der Inhaber hinter dem Tresen arbeitet, sind von dieser Regel ausgenommen. Sie dürfen sogar an Feiertagen öffnen. Klerikale Politiker wollen das nun ändern. Sie sind der Meinung, dass die Geschäfte sonntags geschlossen sein sollten. So stellten Ende Mai Abgeordnete der rechtsreligiösen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf einer Pressekonferenz im polnischen Parlament eine Gesetzesinitiative vor.

Die PiS ist die größte Oppositionspartei im Parlament. Allein verfügt die Partei nicht über die Mehrheit, um das Gesetz durchzusetzen. Aber auch Politiker anderer Parteien haben Zustimmung zu der Initiative signalisiert. Zudem musste Ministerpräsident Tusk kürzlich eine herbe Niederlage einstecken, als die Justiz bei einer Abstimmung über einen Änderungsantrag gegen seine Präferenzen entschied.

Dies zeigt, dass die Regierungsmehrheit derzeit sehr wackelig ist. Auf der Pressekonferenz präsentierten die Delegierten eine Umfrage, die zeigt, dass 77 Prozent der Bevölkerung ein Verbot des Handels an Sonntagen befürworten. Dies ist jedoch nicht verwunderlich, da die Medien seit Jahren die Arbeitgeber und die schlechten Arbeitsbedingungen im Einzelhandel kritisieren.

Es gibt keine Betriebsräte oder Gewerkschaften, die Löhne liegen oft bei ein bis zwei Euro pro Stunde, und darüber hinaus sind unbezahlte Überstunden an der Tagesordnung. Kritiker der Begrenzung der Ladenöffnungszeiten sehen die wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze gefährdet.