Sexismus, Drogen und Rock and Roll = Polnische Politik

Der Vergleich der öffentlichen Debatte zwischen Deutschland und Polen erscheint zuweilen skurril. Obwohl Polen eine viel längere demokratische Tradition hat als Deutschland – das polnische Parlament wurde das erste Mal im 13. Jahrhundert durch den ungarischen König einberufen – kommt die politische Debatte oft an einen Tiefpunkt, der wahrscheinlich nur durch physische Auseinandersetzungen übertroffen werden könnte. (An dieser Stelle sei auf die Prügelei im südkoreanischen Parlament 2009 verwiesen.) Heute geht die 8. Sitzungswoche der Legislaturperiode zu Ende und ein Gemisch aus Sexismus, Drogen und Rock and Roll bleibt in der Luft: Die Bemerkung des abgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff, seine Frau und er wurden durch die Berichterstattung verletzt, kommt im Vergleich daher, wie aus dem Kindergarten.

Sexismus

Dass die zu Beginn der Legislaturperiode ernannte Ministerin für Sport und Touristik Joanna Mucha sehr attraktiv ist, kann niemand ernsthaft bezweifeln. Erstaunlich ist jedoch, dass die männlichen politischen Gegner – und das ohne gesellschaftlichen Aufschrei – Mucha auf ihr Aussehen reduzieren können. So geschehen am vergangenen Donnerstag früh in einem Radiointerview; geführt von der polenweit bekannten Journalistin Monika Olejnik; zu Gast der Sejmabgeordnete Jan Tomaszewski (Recht und Gerechtigkeit, PiS). Auf die Frage, warum denn Mucha so stark angegriffen werde, antwortete dieser, dass er die Ministerin schätzt. Weiter sagte Tomaszewski, dass er sie „mag, sie anzuschauen, weil da jemand ist, auf dem man sein Auge ruhen lassen kann.“ Olejnik reagierte nicht. Ein Beispiel für eine lange Serie von Andeutungen bezüglich des Aussehens der Ministerin. Sogar Reporter lassen sich auf ähnliche Manöver ein. Im Radiointerview bei Radio RMF FM wurde am Mittwoch dieser Woche Mucha vom Redakteur Konrad Piasecki auf die Probleme der 3. Hockey-Liga angesprochen; Mucha antwortete, dass sich ihr Ministerium auch mit diesem Thema beschäftigt; Piasecki erwiderte, dass die 3. Liga nicht existiert.

Drogen

Seit dem die linksliberale Palikot-Bewegung nach den Parlamentswahlen im Oktober 2011 in den Sejm eingezogen ist, kämpft sie vehement für die Legalisierung von weichen Drogen wie Marihuana; die Partei ist in einem Bündnis mit dem Verein Freier Hanf (Stowarzyszenie wolne konopie). Erst kürzlich hatte Janusz Palikot angekündigt, er wolle einen Joint in den Räumen des Sejm rauchen. Daraus ist dann doch nichts geworden – die polnische Öffentlichkeit atmete auf; Palikot befeuerte lediglich Hanf-Räucherstäbchen und lief öffentlichkeitswirksam mit ihnen durch die Gänge des polnischen Parlamentes. Aber war das alles? Nein! Am Freitag dieser Woche veranstaltete Palikot ein Happening vor dem Sejm: Er rauchte mit einigen Sympathisanten einen Joint. Könnte sich so je die LINKE im Bundestag für die Legalisierung von weichen Drogen einsetzten?

Rock and Roll

Aber das ist noch nicht alles! Es rockt und rollt im Sejm – viele unbedachte und emotionale Bemerkungen und Verhaltensweisen halten die polnische Politik bunt. Ein Beispiel: Finanzminister Jan Vincent-Rostowski sagte am Freitag dieser Woche, am Rednerpult im Sejm stehend, mit gebrochener Stimme und anscheinend emotional aufgelöst, dass er sich für die Partei Recht und Gerechtigkeit schämt, da diese Lobbyisten diene und nicht die Interessen der polnischen Nation verteidige. Daraufhin sagte Oppositionsführe Jaroslaw Kaczynski (PiS) auf einer Pressekonferenz, dass der Minister in einer „sehr, sehr schlechten ‚allgemeinen Verfassung‘ sein…

Zum Abschluss ein Sahnehäubchen: Dass die Diskussion um die Renten mit 67 in Polen langsam in Gang kommt, ist gewiss. Jeder und jede wird nach seiner/ihrer Meinung gefragt – auch Vizepremierminister Waldemar Pawlak (Bauernpartei, PSL). Pawlak wurde darauf angesprochen, was er denn jungen Menschen raten könne bezüglich der Altersvorsoge, die jetzt erfahren, dass sie 7 Jahre zusätzlich arbeiten müssen. Darauf Pawlak: „Ich glaube nicht so sehr in staatliche Renten. So dass ich mich bemühe, die Zukunft gerade durch eigene Ersparnisse und ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern abzusichern, da ich denke, dass dieses sicherer sein wird, als die verschiedenen chimärischen staatlichen Lösungen.“