Polen, 17 Sep – 30 Sep 2012
Die polnische Tragödie – Sezierung deckt Fehler auf ++ Wechsel an der Spitze des polnischen Fußballverbandes – der Beginn einer neuen Ära? ++ Wirtschaftsdebatte um PiS-Vorschlag – neue Sachlichkeit?
Die polnische Tragödie – Sezierung offenbart Fehler
Das dramatischste Ereignis in Polen seit dem Beginn des Transformationsprozesses nach dem Runden Tisch 1989 war der Flugzeugabsturz bei Smolensk am 10. April 2010. An diesem Tag starben 96 Menschen beim Landeanflug einer Tupolew Tu-154M der polnischen Luftwaffe – unter den Opfern waren der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski, der letzte Präsident im Exil Ryszard Kaczorowski und andere wichtige Personen aus Politik und Gesellschaft.
Das Unglück löste eine kurze Phase der Trauer aus, die die tief gespaltene Gesellschaft der Gewinner und Verlierer der Transformation wieder zusammenführte. Doch kurz darauf brachen die alten Konflikte wieder auf, allerdings mit Bezug auf den Flugzeugabsturz.
Während die eine (offizielle) Seite versichert, der tragische Unfall sei das Ergebnis unglücklicher Umstände und menschlicher Fehler gewesen, geht eine Gruppe um Antoni Macierewicz, ein Mitglied der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), von einem Anschlag mit zwei Explosionen vor dem Absturz aus.
Nun sind neue Fakten aufgetaucht, die die Zweifel an der korrekten Durchführung der Analyse der Tragödie zu bestätigen scheinen. Am Dienstag dieser Woche teilte der Sprecher der Obersten Militärstaatsanwaltschaft, Oberst Zbigniew Rzepa, auf einer Pressekonferenz mit, dass die Leiche der berühmten Solidarnosc-Aktivistin Anna Walentynowicz mit der eines anderen Opfers vertauscht wurde.
Aufgrund von Unstimmigkeiten in den Dokumenten, die Russland an Polen übermittelt hatte, wurden die Exhumierung und die Autopsie der beiden Leichen letzte Woche durchgeführt. Derzeit untersucht die Staatsanwaltschaft, wie es zu dieser Vertauschung kommen konnte. Außerdem wurde angekündigt, dass vier weitere Leichen in naher Zukunft exhumiert werden sollen, da Zweifel an ihrer Identität bestehen.
Wechsel an der Spitze des polnischen Fußballverbands – der Beginn einer neuen Ära?
Noch ist Grzegorz Lato der Präsident des Polnischen Fußballverbands (PZPN), doch auf diesem Posten wird ihm jemand anderes folgen. Am Dienstag dieser Woche erklärte er in einer Erklärung auf der offiziellen Website des PZPN, dass er sich bei der nächsten Generalversammlung am 26. Oktober 2012 nicht für dieses Amt bewerben wird.
Er begründete seine Entscheidung damit, dass „alle eine Veränderung wollten“ und er dies „zum Wohle des PZPN und des polnischen Fußballs“ tun würde. Einige Medien berichteten jedoch, Lato sei zurückgetreten, weil er zu wenig Rückhalt bei anderen Funktionären des Verbandes fand.
Doch wer wird der nächste Vorsitzende sein? Die Delegierten können zwischen fünf Kandidaten wählen – am bekanntesten ist Zbigniew Boniek. Er gewann mit der polnischen Vertretung die Bronzemedaille beim FIFA-Weltpokal (1983) und dem Pokal der Pokalsieger (1984), den europäischen Superpokal (1984) und den Europapokal (1985) mit Juventus Turin.
Während der Amtszeit von Grzegorz Lato, aber nicht nur dann, wurde der PZPN durch eine Reihe von Skandalen und Korruptionsvorwürfen bekannt. Einer der letzten Skandale stand im Zusammenhang mit der Entlassung von Zdzislaw Krecina (damals Geschäftsführer des PZPN) aufgrund von Tonbändern, auf denen er angeblich mit einem anderen Mitglied des PZPN über eine Bestechung von Lato für eine arrangierte Ausschreibung sprach.
Grzegorz Lato war u.a. Torschützenkönig bei der Fußballweltmeisterschaft 1974. Bislang war er vier Jahre lang Vorsitzender des PZPN. Wird der Wechsel einen tiefgreifenden Wandel innerhalb des Fußballverbands bewirken? Wir werden sehen – vieles könnte vom neuen Präsidenten abhängen.
Wirtschaftsdebatte über den PiS-Vorschlag – neue Sachlichkeit im Spiel?
Recht und Gerechtigkeit (PiS), die größte Oppositionspartei im Sejm, dem polnischen Parlament, ist nicht gerade für glatte und objektive Beiträge zur politischen Debatte bekannt. Daher überraschte die allgemein positive Bewertung der von der PiS organisierten Wirtschaftsdebatte viele Beobachter.
Die Debatte fand am 24. September 2012 in Warschau statt; 39 prominente Wirtschaftswissenschaftler waren eingeladen – 25 von ihnen nahmen teil. Obwohl der Finanzminister Jacek Rostowski (Bürgerplattform, PO, eine liberale Partei) dabei sein wollte, stimmte die PiS-Führung seiner Teilnahme nicht zu. Themen der dreistündigen Debatte waren unter anderem die Arbeitslosigkeit, die Mehrwertsteuer und die sozialen Sicherungssysteme. Vor allem die Reformvorschläge der Partei zu diesen Themen wurden unter die Lupe genommen.
Ein wesentlicher Kritikpunkt waren die hohen Kosten der Vorschläge. Mitglieder anderer Parteien und die Medien bewerteten die Debatte und ihren Verlauf durchaus positiv. Folgedebatten sind angekündigt. Beobachter fragen sich nun, ob die PiS ihr Image in Richtung einer pragmatischeren und wirtschaftlich kompetenteren Partei ändern kann.