Warum sich Tusk hat wählen lassen

Noch-Premier Tusk wird zurzeit von allen Seiten gefeiert und beglückwünscht. Doch warum lässt sich der Regierungschef des sechstgrößten EU-Mitgliedsstaates auf eine Position ohne reale Macht ein? Gründe dafür liegen in Tusks innenpolitischer Situation: Schlechte Stimmung und sinkende Umfragen weisen den Weg. Doch sollten seine innenpolitischen Gegner den zukünftigen EU-Präsidenten nicht abschreiben.

Ganz Polen freut sich, sogar die Opposition hat einige – wenn auch wenige und mit ironischem Unterton unterfütterte – warme Worte für Donald Tusk übrig. Die Ernennung des Noch-Premierministers zum Präsidenten des Europäischen Rates wird als Riesenerfolg und Chance für Polen gesehen.

Doch warum ist das so? Die Funktion des Ratspräsidenten bringt nicht wirklich mehr Macht und Einfluss, als es ein EU-Staatsoberhaupt hat. Es ist eher eine vermittelnde Funktion – Donald Tusk wird nun mit am Tisch sitzen, jedoch ohne Stimmrecht, das der Repräsentant eines Staates hat. Damit ist leicht zu erklären, warum sich nicht Staats- und Regierungschefs großer wirtschaftlich potenter Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien um die vakante Stelle bewarben. Warum also nimmt Tusk diesen Posten an? Gründe dafür können in der nationalen Debatte Polens gefunden werden.

Affären

Zurzeit ist die Abhöraffäre in Polen medial präsent. Dabei wurden führende polnische Politiker verschiedener Parteien bei Hintergrundgesprächen in Warschauer Edelrestaurants abgehört. Einige Gespräche – insbesondere mit Regierungvertretern – gelangten an die Öffentlichkeit und wurden überwiegend scharf kritisiert. In diesem Rahmen kündigte Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz seinen Rücktritt an, nachdem er die Umstände der Abhöraktionen aufgeklärt hat. Doch Sienkiewicz ist noch immer im Amt.

Und das ist nicht die einzige Affäre, die Tusk im Laufe seiner nunmehr siebenjährigen Kadenz durchstehen musste. Zum Beispiel musste er sich im Rahmen der sog. Glücksspielaffäre von wichtigen politischen Weggefährten trennen.

Auseinanderdriften der Gesellschaft

Wichtiges Thema ist in den Medien, insbesondere in den regierungskritischen, das immer stärkere Auseinanderdrifften in der polnischen Gesellschaft. Der durch starkes Wachstum erlangte Wohlstand kommt nur bei einem Teil der Bevölkerung an, und zwar bei den Bessergebildeten in polnischen Großstädten. Das ist mitunter ein Grund für die große Migrationwelle der letzten Jahren nach Irland und Großbritanninen.

Hier hat Tusk der Bevölkerung keine Rezepte anzubieten. Ganz im Gegenteil: Als konservativliberaler Politiker pflegt er eine Gesetzgebung, die die aktuellen Zustände nur noch fördert. Auf die Dauer erhalten daher Populisten von Links und Rechts immer stärkeren Zulauf.

Wenig Reformwillen

Viele Themen wurden Kommentatoren und Beobachtern zufolge von Tusk nicht angepackt – und somit vor Wahlen versprochene Lösungen nicht eingeführt.

Moniert werden zum Beispiel ausstehende rechtliche Regelungen für eingetragene Partnerschaften oder der Subventionierung der Kirche. Liberale sind enttäuscht, da das private Rentensystem OFE stark eingeschränkt wurde und keine Steuererleichterungen eingeführt wurden.

Schlechte Umfragewerte

Daher überrascht kaum, dass die Umfragewerte der Bürgerplattform (PO), deren Vorsitzender und Mitbegründer Tusk ist, in der letzten Zeit in den Keller gefallen sind. Oft liegt die PO nur noch an zweiter Stelle hinter der rechtsklerikalen Recht und Gerechtigkeit (PiS), der Geschichtsrevisionismus und populistische Tendenzen nachgesagt werden.

Anstehende Wahlen

Am 16. November werden in Polen Kommunal- und Wojewodschaftswahlen durchgeführt und voraussichtlich im Herbst nächsten Jahres Parlamentswahlen. Die Vorzeichen für Tusk und sein Bürgerplattfrom sind nicht positiv. Tusk musste zwar schon öfter mit schlechten Prognosen im Vorfeld von Wahlen kämpfen, doch diesmal sieht es besonders düster aus. An Wahlsiege ist da eher nicht zu denken.

Doch ein schlechtes Ergebnis bei den diesjährigen Wahlen würde einen großen Autoritätsverlust für Tusk bedeuten. Eine Wahlschlappe bei den kommenden Parlamentswahlen hätte das sichere Aus der politischen Karriere von Tusk bedeutet.

Rosige Aussichten

Eine Gesamtschau der innenpolitischen Situation für Tusk lässt somit seine Wahl, die reale Macht abzugeben und in eine vermittelnde Funktion überzuwechseln als äußerst rational erscheinen. Damit ist er sich bis jetzt treu geblieben.

Und sollte die politische Situation in Polen und in der EU in den nächsten fünf Jahren stabil bleiben, wären zwei Amtsperioden als polnischer Präsident der krönende Abschluss für den Premier. Denn dieser Staatenlenker hat durch sein Geschick auf der politischen Bühne schon so manchen überrascht und bleibt in Zukunft gefährlich für seine politischen Gegner – auch für die im eigenen Lager.