Anfang März ereignete sich das größte Zugunglück in Polen seit über 20 Jahren. Es starben 16 Menschen und fast 60 Menschen sind zum Teil schwer verletzt – Staatstrauer wurde ausgerufen. Das Ereignis wurde jedoch politisch nicht ausgeschlachtet; kurz wurde über die Staatstrauer diskutiert: doch schon zieht die Karawane weiter.
Es ist der 3. März, ca. 20.50 Uhr, die vielbefahren Strecke zwischen den international bekannten Städten Warschau und Krakau: Der Schnellzug (TLK) aus Przemysl nach Warschau rast mit ca. 100 km/h frontal auf den Interregio aus Warschau nach Krakau, der ebenfalls mit ca. 100 km/h fährt. Nach einer Kurve kommt es bei Szczekociny um 20.57 Uhr zum Frontalzusammenstoß – 16 Menschen sterben und 57 Menschen sind zum Teil schwer verletzt. Minuten später leisten Anwohner erste Hilfe, kurze Zeit darauf sind schon die ersten Einsatzkräfte am Umfallort. Noch in der Nacht ist Premierminister Donald Tusk zur Stelle und am Sonntagmorgen Präsident Bronislaw Komorowski. Erste Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft deuten auf menschliches Versagen hin, doch können auch technische Mängel nicht ausgeschlossen werden, obwohl die Strecke vor Kurzem erneuert wurde und sich in einem guten Zustand befinden soll. Eine Kommission soll die Unfallursachen klären.
Politisch wurde die Katastrophe nicht ausgeschlachtet. Zwar gab es vereinzelt Stimmen aus der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die eine Mitschuld der Regierung nahelegten. Diese wurden in der politischen Debatte jedoch nicht aufgegriffen. Am Sonntagabend rief Komorowski eine zweitägige Staatstrauer für ganz Polen aus – die Begründung: die Unfallopfer kommen aus ganz Polen und dem Ausland. Am Mittwoch, schon kurz nach Ende der Staatstrauer ist von verschiedenen Oppositionspolitikern der Sinn dieser angezweifelt worden: Die staatlich verordnete Trauer erreiche die Menschen nicht, denn Trauer solle aus dem Inneren heraus kommen. Auch ist die Staatstrauer in den letzten Jahren sehr oft ausgerufen worden, was dieser Institution einen inflationären Charakter verleiht. Außerdem sind viele kulturelle Veranstaltungen ausgefallen, während Fernsehsender ihr Programm nicht änderten und auch Komödien und Horrorfilme zu sehen waren. Letztendlich, so der Tenor einiger Oppositionspolitiker, sterben jedes Wochenende auf polnischen Straßen mehr Menschen, somit müsste eigentlich jeden Tag Staatstrauer sein.
Diese Diskussion dauerte jedoch nur einen Tag – schon zieht die Karawane weiter: am Donnerstag dieser Woche ist internationaler Tag der Frauen, also auch Frauentag in Polen. Früher haben Männer den Frauen zu diesem Anlass Nelken geschenkt, heute sah man in ganz Polen überwiegend Männer mit Tulpen in der Hand, die an jeder Straßenecke verkauft wurden. Da Polen nie eine so starke Emanzipationsbewegung hatte wie Deutschland, brechen immer wieder Kontroversen dazu in der Öffentlichkeit aus und auch dieser Tag war ein Anlass zur Auseinandersetzung. Der Tag war bis 1993 ein gesetzlicher Feiertag, der dann durch die Premierministerin Hanna Suchocka abgeschafft wurde – er war viel zu stark mit dem vorherigen kommunistischen Regim assoziiert. Nun möchten führende Vertreter der linkliberalen Palikot-Bewegung (RP) den Frauentag wieder zum Feiertag erklären. Aber die Diskussion geht noch viel tiefer: sexistische Äußerungen von wichtigen polnischen Politikern werden angeprangert und die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper wird gefordert (in Polen ist Abtreibung bis auf sehr wenige Ausnahmen verboten). Der Meinung einiger wichtiger feministischer Politikerinnen nach lässt auch die polnische Sprache zu wünschen übrig. Denn in Polen werden weibliche Endungen für Ämter und Funktionen nur in seltenen Fällen verwendet. Erst vor einigen Wochen hat die Ministerin für Sport Joanna Mucha für die Bezeichnung ihrer Funktion als Ministerin die weibliche Endung mit a „Ministra“ eingefordert; was einen Aufschrei und abschätziges Schmunzeln unter vielen männlichen Politikern auslöste.
Schon morgen wird der mediale Fokus aber wieder auf andere Themen gerichtet sein – die öffentliche Diskussion über Politik und Gesellschaft bleibt bunt; nur an Tiefgründigkeit und Nachhaltigkeit mangelt es zuweilen.